BGH – Kindesunterhalt auch beim Wechselmodell bzw. Doppelresidenzmodell
Kindesunterhalt ist auch beim Wechselmodell bzw. Doppelresidenzmodell zu zahlen (vgl. BGH Beschluss vom 11.1.2017, Az. XII ZB 565/15
).
Mit dieser Entscheidung bestätigt der BGH das OLG Dresden, Beschluss vom 29.10.2015, Az. 20 UF 851/15
, wonach der Vater trotz 50%iger Betreuung der beiden Kinder im Ergebnis mehr Kosten hatte, als im Residenzmodell (vgl. Artikel Unterhaltsberechnung beim Wechselmodell und Anm. Maes Kindesunterhalt im Wechselmodell bzw. Residenzmodell).
Aktuelle gesellschaftliche Situation
Immer mehr junge Eltern praktizieren nach ihrer Trennung ein Wechselmodell mit unterschiedlichen Betreuungsquoten bis hin zum paritätischen Wechselmodell. Dort haben die Kinder dann zwei Wohnsitze, oder zwei Residenzen. In anderen europäischen Ländern nennt man das Doppelresidenz.
Erst durch die Aufteilung der Betreuung sind junge Mütter in der Lage, neben der Kinderbetreuung auch im Beruf Perspektiven zu entwickeln und Karriere zu machen. Immer mehr junge Väter möchten auch nach der Trennung möglichst viel Zeit mit den Kindern verbringen. Wenn das am Ende aber für sie teurer wird, als die herkömmliche Betreuung der Kinder bei der Mutter, ist die wechselseitige Betreuung der Kinder durch beide Eltern gefährdet.
Finanzierung der wechselseitigen Betreuung
Nach § 1626 BGB sind Eltern verpflichtet, für ihre Kinder zu sorgen, also sie zu betreuen und mit allem zu versorgen, was sie benötigen. Der Bedarf der Kinder leitet sich vom Einkommen der Eltern und nicht nach der Düsseldorfer Tabelle und auch nicht vom gesetzlichen Existenzminimum der Kinder ab.
Leider haben die Gerichte diese schlichte Tatsache aus den Augen verloren.
Kindergeldverteilung laut BGH
Das Kindergeld wird bislang nur einem Elternteil ausgezahlt. Eine Aufteilung ist gesetzlich nicht vorgesehen. Nach der Trennung überweist der Kindergeldbezieher daher häufig das hälftige Kindergeld an den anderen. Gibt es jedoch keine Einigung, muss der Kindergeldbezieher laut BGH nur ¼ an den anderen abgeben (vgl. Anmerkung Maes zum BGH Beschluss vom 20.4.2016, Az. XII ZB 45/15
).
Kindesunterhalt laut BGH
Wenn die Eltern nach der Trennung in etwa das Gleiche verdienen, kann es sein, dass selbst nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH jeder Elternteil das Kind ohne irgendeine Unterhaltszahlung nach seinen Möglichkeit betreuen und versorgen darf. In der Regel sind die Einkommen der Eltern aber verschieden. Dann gilt laut BGH – Kindesunterhalt ist auch beim Wechselmodell bzw. Doppelresidenzmodell zu zahlen.
Je größer aber der Einkommensunterschied ist, desto mehr verschiebt sich die Unterhaltslast auf den besser Verdienenden. Seit den 80iger Jahren verfälscht der BGH die Einkommensquote, indem er vor der Quotenbildung bei jedem Elternteil den angemessenen Selbstbehalt von derzeit 1.300,00 € abzieht. Allerdings ist diese Praxis nicht vom Wortlaut des § 1606 BGB gedeckt. Es besteht auch keine Gesetzeslücke, die der BGH hätte schließen müssen.
So verschiebt sich die Zahlungsquote bei einem Einkommensverhältnis von beispielsweise 67 % zu 33 % im Fall vor dem OLG Dresden auf 93 % zu 7 % (vgl. Anm. Maes zu OLG Dresden). Diese offenkundige Ungerechtigkeit hat der BGH in seiner aktuellen Entscheidung gar nicht erst thematisiert. Allerdings hat er den ungerechten Berechnungsansatz der OLG Dresden mit einer fragwürdigen Begründung bestätigt. Die Eltern hätten mit dem vereinbarten Wechselmodell bzw. Doppelresidenzmodell „nur“ eine sorgerechtliche Regelung getroffen, nicht aber eine Regelung, wonach wechselseitig kein Kindesunterhalt mehr zu zahlen sei.
Hintergrund der aktuellen BGH Rechtsprechung
Die Düsseldorfer Tabelle und die Rechtsprechung zum Kindesunterhalt wurden seit den 60iger Jahren ausschließlich für das Residenzmodell entwickelt. Danach blieben die Kinder nach der Trennung der Eltern meistens im Haushalt der Mütter. Sie hatten also dort ihre Residenz.
Demgegenüber ist die wechselseitige Betreuung der Kinder eine neue Betreuungsform, die mit den Maßstäben des Residenzmodells nicht beurteilt werden kann.
Trotzdem versucht der BGH krampfhaft, neuen Wein in alte Schläuche zu füllen. Dabei ist seit über 2000 Jahren bekannt, dass das nicht funktionieren kann.
Entlastung des schlechter verdienenden Elternteils
Der BGH ist bemüht, den schlechter verdienenden Elternteil über eine Einkommensumverteilung bei der Betreuung der Kinder zu unterstützen. Das ist nicht zu beanstanden.
Allerdings lässt sich dieses Ziel auch ohne fragwürdige und gesetzlich nicht gedeckte Rechenoperationen erreichen.
Wenn der schlechter verdienende Elternteil nicht wenigstens den hälftigen Mindestunterhalt aufbringen kann, greift automatisch die gesetzliche Ersatzhaftung des anderen Elternteils gem. § 1607 BGB.
Der hälftige Zahlbetrag beträgt nach der Düsseldorfer Tabelle 2017 für Kinder bis 6 Jahre 123,00 €, bis 12 Jahre 153,50 € und bis 18 Jahre 182,00 €. Diese Beträge wären dem schlechter verdienenden Elternteil vom anderen aufgrund der Ersatzhaftung zur Verfügung zu stellen, wenn sein Nettoeinkommen unterhalb seines Selbstbehaltes von 1.080,00 € liegen würde. Daneben bekäme er noch das hälftige Kindergeld von derzeit 96,00 €.
Schleppende und verantwortungsscheue Gesetzgebung
Nachdem der BGH bislang nicht in der Lage war, für neue Betreuungsmodelle in Trennungsfamilien einfache und gerechte Lösungen anzubieten, wäre eigentlich der Gesetzgeber gefragt. Er müsste den Kindesunterhalt auch beim Wechselmodell bzw. Doppelresidenzmodell gesetzlich regeln.
Schaut man sich aber die Positionspapiere der Parteien an, wird deutlich, dass sie keine Wähler verlieren wollen. Dementsprechend sind die Entwürfe schwammig. Sie gipfeln darin, wie bisher der Rechtsprechung die Entscheidungskompetenz zuzuschieben. Damit stünden wir wieder dort, wo wir jetzt schon stehen. Inzwischen gibt es eine Internetpetition, die sich gegen die unbefriedigende Unterhaltssituation wendet.