Verlust des Sorgerechts bei Vereitelung des Umgangs
Wenn ein Elternteil den Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil untergräbt oder gar vereitelt, droht ihm der Verlust des Sorgerechts. Anmerkung Maes zum Beschluss des OLG Köln vom 1. März 2018, Az. 10 UF 19/18 in der Zeitschrift Juris Praxisreport Familien- und Erbrecht Ausgabe 15 vom 30.7.2019.
Leitsätze
- Eine Korrektur offenbarer Unrichtigkeiten der erstinstanzlichen Entscheidung ist auch im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens von Amts wegen möglich.
- Streiten die Eltern über das Aufenthaltsbestimmungsrecht, kommt eine gemeinsame Sorge regelmäßig nicht in Betracht. Bei der dann zutreffenden Frage der Erziehungseignung kann eine unzureichende Bindungstoleranz in Gestalt einer Umgangsverweigerung dazu führen, das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den anderen Elternteil zu übertragen.
- Auch im erstinstanzlichen Umgangsverfahren ist – auf entsprechenden Eilantrag hin – eine Teilsorgerechtsentziehung möglich. Der richterliche Hinweis auf diese Möglichkeit begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit.
A. Problemstellung
Das OLG Köln hat sich mit der Bedeutung der Bindungstoleranz und einem möglichen Verlust des Sorgerechts des bisher betreuenden Elternteils befasst.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Unmittelbar nach der Trennung begab sich die Mutter mit dem Kind in ein Frauenhaus und setzte den Umgang zum Vater komplett aus. In der Folge übertrug das Familiengericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht im Wege einstweiliger Anordnung auf den Vater. Vor allem die mangelnden Bindungstoleranz der Mutter führe zum Verlust des Sorgerechts.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Mutter blieb vor dem OLG Köln erfolglos.
Begründung des OLG
Wenn Eltern über das Sorgerecht streiten, sei das bereits Anlass, von einer fehlenden Kooperationsbereitschaft auszugehen.
Die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Vater entspreche dem Wohl des Kindes am besten. Schließlich habe der Vater bislang das Kind mitbetreut und könne ihm die Erziehung in der bisherigen Ehewohnung sichern. Außerdem sei schon ein Kindergartenbesuch in die Wege geleitet.
Zwar sei die starke Bindung des Kindes an die Mutter, die das Kind in den ersten Lebensjahren überwiegend versorgt und betreut habe, erfreulich. allerdings spreche das nicht gegen die getroffene Entscheidung.
Für die summarische Prüfung im Eilverfahren sei ausschlaggebend, dass der Vater des Kindes über ein deutlich höheres Maß an Bindungstoleranz verfüge als die Mutter. Ein sicherer Kontakt des Kindes zu beiden Elternteilen könne derzeit daher nur gewährleistet werden, wenn sich das Kind beim Vater aufhalte.
Bei der Erziehungseignung sei die Bindungstoleranz, also die Fähigkeit, inwieweit ein Elternteil einen spannungsfreien Kontakt des Kindes zum anderen Elternteil zulasse und aktiv fördere, von erheblicher Bedeutung.
C. Kontext der Entscheidung zum Verlust des Sorgerechts
Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Übertragung des Sorgerechts auf einen Elternteil das Förderungsprinzip, die Bindungen des Kindes, das Kontinuitätsprinzip und der Kindeswille zu beachten.
Allerdings soll keines dieser Kriterien eine Präferenz haben (vgl. OLG Bremen, Beschl. v. 20.08.2018 – 4 UF 57/18). Trotzdem beruhen viele sorgerechtliche Entscheidungen auf dem Kontinuitätsgrundsatz und auf der Bindung des Kindes zu einem Elternteil. Stattdessen sollte vermehrt auf die Bindungstoleranz der Eltern geachtet werden: Inwieweit kann ein Elternteil den Kontakt des Kindes zum anderen Elternteil zulassen und aktiv fördern?
Häufig führt eine mangelnde Bindungstoleranz dazu, dass sich die Bindungen des Kindes zum anderen Elternteil nicht hinreichend entwickeln oder gar massiv untergraben werden. Im Ergebnis führt das zu einem Loyalitätskonflikt. Oft ist der verbunden mit Auffälligkeiten in der Schule, psychosomatischen Beschwerden. Darüberhinaus kann er zu bedenklichen Entwicklungsstörungen beim Kind führen.
Leider haben in den letzten 26 Jahren nur wenige Gerichte den Mut gehabt, deswegen dem betreffenden Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu entziehen. Deshalb ist die Liste dieser Entscheidung vergleichsweise kurz:
- OLG Celle, Beschl. v. 04.01.2018 10 UF 126/16
- OLG Köln, Beschl. v. 25.08.2017 II-25 UF 83/17
- OLG Brandenburg, Beschl. v. 19.07.2016 10 UF 8/16
- OLG Frankfurt, Beschl. v. 28.03.2011 2 UF 109/10
- AG Sigmaringen, Beschl. v. 16.06.2009 2 F 474/08
- OLG Brandenburg, Beschl. v. 16.04.2008 9 UF 191/07
- OLG Koblenz, Beschl. v. 20.08.2007 13 UF 166/07
- OLG Saarbrücken, Beschl. v. 29.08.2003 6 UF 11/03
- OLG Dresden, Beschl. v. 29.08.2002 10 UF 229/02
- OLG Braunschweig, Beschl. v. 20.12.2000 1 UF 195/00
- OLG Hamm, Beschl. v. 17.12.1999 12 UF 234/99
- OLG Frankfurt, Beschl. v. 18.05.1998 6 UF 18/98
- OLG Celle, Beschl. v. 25.10.1993 19 UF 208/93
D. Auswirkungen für die Praxis
Nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen ist gerade nach der Trennung wichtig, dass das Kind zu beiden Elternteilen eine ungestörte Beziehung haben kann. Deshalb sollte bei Entscheidungen in Kindschaftssachen der Blick nach vorne gerichtet und die Bindungstoleranz eines Elternteils stärker in den Fokus gerückt werden. Schließlich kann das zum Verlust des Sorgerechts führen.
Demgegenüber betrachtet das Kontinuitätsprinzip die Familiensituation in der Vergangenheit, die durch die Trennung der Eltern abgeschlossen ist. Im Ergebnis folgen daraus nur begrenzt Anhaltspunkte für eine sachgerechte Entscheidung für die Gegenwart und die Zukunft eines Kindes.
Gleiches gilt für die Bindungen des Kindes, das nach der Geburt in der Regel mehr von der Mutter betreut wurde und zu ihr eine stärkere Bindung entwickelt hat. Allerdings hätte das Kind kaum eine Chance, die Bindung zum Vater zu vertiefen, wenn man diesen Zustand nach der Trennung der Eltern fortschreiben wollte. In diesem Zusammenhang wird oft verkannt, dass die bereits bestehende Bindung zur Mutter überhaupt nicht tangiert, sondern um eine weitere Bindung ergänzt und belebt wird.
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Eine Anhörung des Kindes ist nicht erforderlich, wenn es für die Entscheidung darauf nicht ankommt.
Wenig überzeugend ist die Auffassung des OLG Köln, die Empfehlung des Gerichts an einen Elternteil, einen Sorgerechtsantrag im Wege einstweiliger Anordnung zu stellen, könne die Besorgnis der Befangenheit nicht begründen. Schließlich gelte in Kindschaftsverfahren der Amtsermittlungsgrundsatz. Daraus folge, dass das Gericht auch von sich aus, ohne Antrag eines Elternteils eine einstweilige Anordnung treffen könne. Demgegenüber wäre es besser gewesen, das Gericht hätte sich die Empfehlung verkniffen und wäre von Amts wegen tätig geworden.
Siehe auch den Beitag: Gemeinsames Sorgerecht trotz Zerstittenheit