Kindesunterhalt – Zahlungsverpflichtung trotz fehlenden Einkommens
Wer zum Kindesunterhalt verpflichtet ist, kann auch dann zur Zahlung verurteilt werden, wenn er nichts verdient. Anmerkung Maes zum Beschluss des OLG Hamm vom 10.04.2018, Az. 1 UF 186/17 in der Zeitschrift Juris Praxisreport Familienrecht und Erbrecht Ausgabe 5 vom 12.3.2019.
„Wenn ich nichts verdiene, muss ich auch keinen Unterhalt zahlen.“ Oft fallen solche Sätze nach einer streitigen Trennung.
Demgegenüber verlangt das Gesetz in § 1603 Abs. 2 BGB, dass alle verfügbaren Mittel für den Unterhalt des Kindes zu verwenden sind. Dazu gehören nach der Rechtsprechung auch die Arbeitskraft und vorhandenes Vermögen. In der hier besprochenen Entscheidung des OLG Hamm liest sich das so:
Kindesunterhalt: Orientierungssätze des Gerichts
- Ein gesteigert unterhaltspflichtiger selbstständig tätiger Unterhaltsschuldner, der nur geringe Einkünfte bezieht, muss entweder eine neue Arbeitsstelle oder eine weitere Beschäftigung suchen, um zusätzliche Mittel zu erlangen.
- Kann der Unterhaltsschuldner nach seinen Angaben seinen Lebensunterhalt mit seinem „offiziellen Einkommen“ nicht bestreiten, so kann hieraus geschlossen werden, dass seine Tätigkeit als „Liebhaberei“ anzusehen ist oder dass tatsächlich höhere Einkünfte erzielt werden.
- Setzt der Unterhaltspflichtige seine Arbeitskraft nicht in dem gebotenen Umfang ein, so muss er sich die durch zumutbare Erwerbstätigkeit erzielbaren Einkünfte anrechnen lassen. Das bedeutet, dass ein Selbstständiger seine Tätigkeit zugunsten einer Tätigkeit im Angestelltenverhältnis aufgeben muss.
- Bei einer 37,5 Stunden-Woche kann ein Angestellter im Einzelhandel mit dreijähriger Ausbildung zwischen 1.985 und 2.528 Euro brutto verdienen. Liegt keine abgeschlossene Berufsausbildung, wohl aber sehr viel Berufserfahrung vor, ist der Ansatz eines mittleren Einkommens i.H.v. 2.256 Euro gerechtfertigt.
- Der Unterhaltsschuldner hat gegenüber minderjährigen Kindern gemäß § 1603 Abs. 2 BGB sämtliche verfügbaren Mittel, also auch den Vermögensstamm, zur Leistung des Unterhalts zu verwenden.
A. Problemstellung
Es geht um den Einsatz des Vermögens zur Zahlung von Kindesunterhalt bei gesteigerter Unterhaltspflicht gemäß § 1603 Abs. 2 BGB.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Unterhaltsvorschusskasse nahm den Vater auf Zahlung von Kindesunterhalt für seine zwei minderjährigen Kinder aus übergegangenem Recht in Anspruch. Der damals 43-jährige hatte keine abgeschlossene Schulausbildung. Allerdings gehörten ihm zusammen mit seinem Bruder zwei GmbHs. Eine GmbH vermietet ein Grundstück, die andere betreibt ein Juweliergeschäft, das er als Geschäftsführer leitet. Er erhält dafür ein Gehalt von monatlich knapp 1.200 Euro netto. Ab dem Jahr 2016 reduzierte er seine Unterhaltszahlungen auf 100 Euro pro Kind. Im Januar 2018 verkaufte er seine Gesellschaftsanteile an seinen Bruder für 20.000 Euro.
Das Amtsgericht weist Unterhaltsanspruch zurück
Das Amtsgericht hatte die Anträge auf Zahlung von Kindesunterhalt zurückgewiesen. Der Antragsgegner sei nicht leistungsfähig. Ohne die Zustimmung seines Bruders könne er sein Geschäftsführergehalt nicht beliebig erhöhen. Außerdem gebe das Unternehmen dafür nichts her. Eine Nebentätigkeit würde seine Einnahmen auch nicht signifikant erhöhen, da ihm wegen seines langen Arbeitsweges Fahrtkosten von 660 Euro im Monat anzurechnen seien. Anhaltspunkte für weitere Einkünfte seien nicht ersichtlich.
Das Oberlandesgericht gibt dem Unterhaltsanspruch statt
Das OLG Hamm hat diese Entscheidung im Wesentlichen aufgehoben. Der gesteigert Unterhaltspflichtige habe alle verfügbaren Mittel einzusetzen. Das folge auch aus Art. 6 Abs. 2 GG.
Anspannung aller Kräfte
Wenn er mit seiner aktuellen Tätigkeit den Mindestunterhalt nicht leisten könne, müsse er sich unter Anspannung aller Kräfte und Ausnutzung aller vorhandenen Möglichkeiten um eine so gut entlohnte Arbeit bemühen, dass er seiner Unterhaltspflicht nachkommen kann. Dabei müsse er auch einschneidende Veränderungen in seiner eigenen Lebensgestaltung in Kauf nehmen. Seine Erwerbsbemühungen sowie seine Bemühungen um einen adäquat entlohnten Arbeitsplatz müsse er in nachprüfbarer Weise dokumentieren und darlegen, welche Schritte er im Einzelnen unternommen habe.
Fiktives Einkommen und Vermögen, wenn nichts verdient wird
Da er dies nicht getan habe, sei ihm ein fiktives Einkommen aus einer angestellten Tätigkeit anzurechnen. Nach dem Tarifregister NRW der Hans-Böckler-Stiftung könne er trotz mangelnder Ausbildung wegen seiner Berufserfahrung im Schmuckhandel ca. 2.256 Euro brutto bei einer 37,5 Stundenwoche verdienen. Daraus folge ein bereinigtes Nettoeinkommen von 1.472,52 Euro, wovon er 392,52 Euro für den Kindesunterhalt einsetzen könne. Den Rest müsse er aus seinem Vermögen bestreiten. Nach Abzug eines Schonvermögens von 5.000 Euro stünden ihm hierzu 15.000 Euro zur Verfügung.
C. Kontext der Entscheidung
Die Ausführungen des Gerichts zur Erwerbsobliegenheit, zu den Anforderungen an Bewerbungsbemühungen und zum Ansatz eines fiktiven Einkommens entsprechen ständiger Rechtsprechung (vgl. Götsche, jurisPR-FamR 1/2017 Anm. 7).
Seltener sind die Fälle, in denen der Vermögensstamm für den Unterhalt eingesetzt werden muss (vgl. OLG Koblenz, Beschl. v. 27.05.2015 – 13 UF 25/15).
Dazu gehören auch:
- Der Verkauf einer Immobilie (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 15.07.2015 5 UF 50/15; OLG Köln, Beschl. v. 19.03.2010 10 UF 50/09).
-
Der Erlös aus dem Verkauf einer Immobilie (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 19.11.2012 15 UF 83/12).
-
Eine Abfindung (vgl. OLG Schleswig, Beschl. v. 13.04.2012 10 UF 324/11) sowie fiktives Vermögen bei Vermögensverschwendung (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 14.07.2005 4 WF 103/05).
Allerdings kann die Verwertung von Vermögen unzumutbar sein, etwa, wenn der Schuldner dadurch sozialhilfebedürftig würde (vgl. OLG Jena, Beschl. v. 19.03.2015 – 1 UF 637/14 Rn. 53).
D. Auswirkungen für die Praxis
In allen Fällen, in denen der Unterhaltspflichtige den Kindesunterhalt nicht aus seinem laufenden Einkommen zahlen kann, sollte seine Vermögenssituation genau geprüft werden. Dabei kann dem Unterhaltspflichtigen auch zugemutet werden, seine Immobilie zu verkaufen. Bei Vermögensverschwendung ist der Unterhaltspflichtige so zu behandeln, als ob er sein Vermögen noch hätte.
Siehe auch den Beitrag: Unterhalt -Grundwissen