Kindesunterhalt bei erweitertem Umgang
Viele Eltern teilen sich heute die Betreuung der Kinder, sei es paritätisch (50:50) oder in einem anderen Verhältnis. Die Fachleute sprechen dann vom Wechselmodell bzw. Doppelresidenzmodell oder von einem erweiterten Umgang. Bis heute sind derartige Betreuungsmodelle gesetzlich nicht geregelt.
Bisher scheint der Gesetzgeber immer noch davon auszugehen, eine wechselseitige Betreuung stelle die Ausnahme dar und belaste die Kinder durch das Pendeln zwischen zwei Wohnungen. Diese und andere Argumente sind inzwischen widerlegt (vgl. Sünderhauf „Vorurteile gegen das Wechselmodell: Was stimmt, was nicht?“ in FamRB 2013, 290).
Bislang keine gesetzliche Regelung zum Wechselmodell oder zum erweiterten Umgang
Bis zur Trennung der Eltern hält sich das Kind bei beiden auf. Danach lebte das Kind meistens schwerpunktmäßig bei einem Elternteil (sogenanntes Residenzmodell). Allerdings hat das nichts mit der Meldeanschrift des Kindes zu tun. Beides kann also auseinanderfallen. Gesetz und Düsseldorfer Tabelle knüpfen immer an den Aufenthalt des Kindes an. Nach diesem bislang am häufigsten praktizierten Betreuungsmodell erbringt ein Elternteil den Unterhalt des Kindes durch Betreuung, Unterbringung und Beköstigung, der andere Elternteil durch Zahlung von Barunterhalt.
Diese „Arbeitsteilung“ der Eltern des Kindes schlug sich in einem standardisierten Kindesumgang nieder, wonach der unterhaltspflichtige Elternteil das Kind nur alle 14 Tage am Wochenende bei sich haben durfte.
Immerhin hat das OLG Düsseldorf in Ziff 12.3. seiner Unterhaltsleitlinien ab dem 1.8.2015 Vorgaben zur Berechnung des Kindesunterhalts beim Wechselmodell und beim erweiterten Umgang gemacht, die jedoch ohne Vorwissen bei der Ermittlung des Zahlbetrages unanwendbar sind.
Wissenschaftlich erwiesen: Kinder brauchen mehr Umgang mit dem Umgangs – Elternteil
Nach 30 Jahren wissenschaftlicher Forschung ist unbestritten, dass Kinder beide Elternteile gleichermaßen für ihre Entwicklung brauchen. Deshalb werden inzwischen bei der Trennung der Eltern großzügige Umgangsregelungen von den Gerichten beschlossen. Immer häufiger wird der Umgang von Freitagnachmittag bis Montagsfrüh beschlossen. Hinzu kommen oft eine weitere Übernachtung in der Woche, teilweise auch zwei Übernachtungen.
Mehr Umgang führt zu mehr Betreuung des Kindes
Die inzwischen übliche Umgangsausweitung führt dazu, dass der umgangsberechtigte Elternteil vermehrt Betreuungsaufgaben wahrnimmt. Dadurch hat er zusätzliche Kosten, die in den Tabellenbeträgen der Düsseldorfer Tabelle nicht berücksichtigt sind. Deshalb sollte sich die verstärkte Teilnahme an der Kinderbetreuung in einer Absenkung des Barunterhalts ausdrücken. Die Gerichte versuchten, dem Rechnung zu tragen, z.B. das OLG Karlsruhe im Beschluss vom 5.12.2005, Aktenzeichen 2 UF 10/05
. Danach sollte jeder Elternteil die Hälfte des auf ihn entfallenden Tabellenunterhalts zum Bedarf des Kindes beisteuern, bzw. anteilig im Verhältnis seiner Betreuungsquote.
BGH verweigert bei Ausweitung der Betreuung einen adäquaten Abschlag beim Kindesunterhalt
Diesem Lösungsansatz hat der BGH mit Urteil vom 28.2.2007, Aktenzeichen XII ZR 161/04
, eine Absage erteilt. In dem dort entschiedenen Falle hatten sich die Eltern die Betreuung des Kindes im Verhältnis 1/3 zu 2/3 geteilt. Der BGH war der Auffassung, dass keine anteilige Kindesunterhaltszahlung in Betracht komme. Solange ein Elternteil den Schwerpunkt der Betreuung leiste, müsse der andere Elternteil in voller Höhe Barunterhalt zahlen. Diese Auffassung wird in großen Teilen der Rechtsprechung und Literatur kritisiert.
Abgesehen davon lässt die Entscheidung des BGH offen, ab welchem Betreuungsverhältnis anteiliger Barunterhalt bzw. Barunterhalt nach einer Haftungsquote, ähnlich wie beim Wechselmodell zu zahlen ist. Erwähnenswert ist hier die Stellungnahme des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht vom 26.11.2012. Dort wird dafür plädiert, schon bei erweitertem Umgang entsprechende Aufteilungen des Kindesunterhalts vorzunehmen.
Unzureichende Korrektur der BGH bei erweiterter Betreuung
Durch seine Entscheidung vom 12.3.2014, Az. XII ZB 234/13
hat der BGH eine leichte Korrektur vorgenommen. Er lässt nun wenigstens die Herabgruppierung von einer oder mehreren Gruppen der Düsseldorfer Tabelle zu, wenn eine erweiterte Betreuung vorliegt (umgesetzt in den Unterhaltsleitlinien 2015 des OLG Düsseldorf, Ziff. 12.3). Wie Eltern, die nur den Mindestunterhalt leisten können, in den Genuss dieser kleinen Erleichterung kommen sollen, lässt der BGH offen.
BGH Urteil aus dem Jahr 2011 zu Betreuungsangeboten der Väter
Im Urteil vom 1.6.2011, Az. XII ZR 45/09
hatte sich der BGH dafür stark gemacht, dass Mütter die Betreuungsangebote der Väter annehmen und ihre Erwerbstätigkeit aufstocken sollen. Leider scheint der BGH von diesem fortschrittlichen Ansatz wieder Abstand genommen zu haben.
Inzwischen wird sein Rechtsprechung zur wechselseitigen Betreuung immer kryptischer. Offenbar passt sie nicht in das vom BGH gesellschaftlich erwünschte Familienbild. Offenbar möchte der BGH wieder verstärkt Hausfrauen und Mütter, die auf berufliche Betätigung verzichten (vgl. Beitrag BGH – Kindesunterhalt auch beim Wechselmodell bzw. Doppelresidenzmodell).
Diese rückwärtsgewandte Auffassung des BGH geht allerdings an den Lebensvorstellungen von jungen Familien vorbei. Daher ist der Gesetzgeber gefragt, hier vernünftige Rahmenbedingungen zu schaffen.
Ungerechte Unterhaltsverteilung selbst beim Wechselmodell
In diesem Zusammenhang soll noch erwähnt werden, dass auch ein Wechselmodell den bisher unterhaltspflichtigen Elternteil von seiner Unterhaltspflicht nicht etwa entbindet. In solchen Fällen ist der Unterhalt nach Haftungsquoten zu bemessen, was bedeutet, dass die Eltern nach ihrem Nettoeinkommen eine Quote zu zahlen haben, wie beim Volljährigenunterhalt. Hinzu kommen Zuschläge, weil zwei Kinderzimmer bereitgehalten werden müssen, Fahrtkosten etc. um das Wechselmodell zu realisieren (vgl. Beitrag Unterhaltsberechnung beim Wechselmodell).
Wer mehr verdient, wird bei der Unterhaltsquote doppelt belastet
Nach der bisherigen, reformbedürftigen Rechtsprechung zur Haftungsquote wird dieser erhöhte Bedarf im Wesentlichen von dem besser verdienenden Elternteil zu tragen sein, da vor der Quotenbildung bei beiden Elternteilen vorab der angemessene Selbstbehalt von derzeit 1.300,00 € abziehen ist. Dadurch verschlechtert sich die Quote des Besserverdienenden deutlich, etwa von 65 % auf 93 %. In vielen Fällen kann man ihm eigentlich nur empfehlen, auf die hälftige Betreuung zu verzichten und weiterhin den Tabellenunterhalt nach seinem Einkommen zu zahlen. Ein erweiterter Umgang oder gar ein Wechselmodell werden dadurch konterkariert.
Gesetzgeber ist in der Pflicht
Es gibt viel zu tun, um gerechte Unterhaltskriterien für die heute praktizierten Umgangs- und Betreuungsmodelle zu schaffen. Da die Rechtsprechung hier bislang versagt hat ist der Gesetzgeber berufen, klare und gerechte Verhältnisse zu schaffen.
Bislang finden sich allerdings nur fragwürdige Positionspapiere der Parteien, die letztlich der Rechtsprechung wieder die Aufgabe übertragen wollen, im Streitfall eine Entscheidung zu treffen.
Damit bliebe aber alles beim Alten.
Gerichtsweg bei hochstreitigen Elternkonflikten erschweren
Vor allem hochkonflikthaften Eltern sollte der Weg zum Gericht erschwert werden. Sie wollen nur vordergründig eine Regelung zum Wohl ihrer Kinder. Tatsächlich wollen sie ein Tribunal und erstreben die Verurteilung und Bestrafung des anderen Elternteils. Oft lassen sich die Gerichte von den Eltern instrumentalisieren, weil sie meinen, es läge jetzt an ihnen, etwas Gutes für die Kinder zu tun. Tatsächlich ist das aber die vorrangige, verfassungsrechtlich geschätzte Aufgabe der Eltern.
Selbst, wenn das Gericht einem Elternteil Recht gibt, hält der Elternstreit an. Der andere legt etwa Rechtsmittel zum Oberlandesgericht ein oder bricht neue Gerichtsverfahren vom Zaun.
Damit bleiben die Kinder weiterhin belastet. Sie müssen vor Richtern und Gutachtern sagen, mit welchem Elternteil sie mehr Zeit verbringen wollen. Damit sind sie aber überfordert, weil sie keinen Elternteil verletzen wollen. Dieser Zwiespalt macht die Kinder krank. Sie leiden an einem Loyalitätskonflikt, aus dem die Gerichte sie nicht erlösen können, nur die Eltern.
Obligatorische Mediation vor jedem Familiengerichtsverfahren
Jedem Gerichtsverfahren sollte eine fachlich fundierte Mediation vorgeschaltet werden, etwa die Transformative Mediation. In anderen Ländern, etwa in den USA und in Australien sind damit gute Ergebnisse für die Kinder erzielt worden.
Paitätisches Wechselmodell als gesetzlicher Regelfall
Wenn das paritätische Wechselmodell oder Doppelresidenzmodell als gesetzlicher Regelfall installiert wird, gibt es nach der Trennung keinen Streit mehr darüber, bei wem die Kinder wie lange sein dürfen.
Eltern, die die Bedürfnisse ihrer Kinder und nicht ihren Streit im Fokus haben, können jederzeit vom Regelfall abweichen und etwas anderes vereinbaren.
Für Kinder ist zweitrangig, ob sie im Residenzmodell oder im Doppelresidenzmodell betreut werden, solange die Eltern das einvernehmlich beschließen.
Im Streitfalle sollte aber gelten, dass die Kinder gleichermaßen Zugang zu beiden Elternteilen haben sollten, ohne sich für oder gegen den anderen entscheiden zu müssen.