Kindergeld beim Wechselmodell
Wenn sie die Kinder hälftig im Wechselmodell betreuen, teilen sich die Eltern in der Regel das Kindergeld. Der BGH sieht das im Beschluss vom 20.4.2016 anders: Er läßt beim Kindergeldbezieher 3/4 und spricht dem anderen nur 1/4 zu. Die komplizierte Begründung kann über die augenscheinliche Ungerechtigkeit nicht hinwegtäuschen.
Anm. Maes zu BGH, Beschluss vom 20.4.2016, Az. XII ZB 45/15 in Juris Praxis Report Familien- und Erbrecht 16/2016 vom 2.8.2016
Orientierungssätze
1. Orientierungssatz
Es gibt keinen ausreichenden Grund, den Eltern beim Vorliegen eines Wechselmodells in jedem Einzelfall – eine von ihnen möglicherweise gar nicht gewünschte – unterhaltsrechtliche Gesamtabrechnung unter Einschluss des Kindergeldausgleichs aufzuzwingen. Vielmehr ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, einen Anspruch auf Auskehrung des Kindergeldes selbstständig geltend zu machen. Vor allem dann, wenn es an einem unterhaltsrechtlichen Gesamtausgleich zwischen den unterhaltspflichtigen Eltern fehlt.
2. Orientierungssatz
Die Aufteilung des gesetzlichen Kindergeldes zwischen den Elternteilen hat beim Vorliegen eines Wechselmodells so zu erfolgen, dass grundsätzlich die Hälfte des Kindergeldes den Bedarf des Kindes mindert. Dann ist der Berechnung auf den Barunterhalt entfallende Anteil des Kindergeldes nach der einkommensabhängigen Beteiligungsquote der Eltern am Barunterhalt zu bestimmen, der auf die Betreuung entfallende Anteil des Kindergeldes zwischen den Eltern zu teilen (entgegen OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20.06.2013 – II-7 UF 45/13, 7 UF 45/13 – FamRZ 2014, 567; Bestätigung OLG Dresden, Beschl. v. 29.10.2015 – 20 UF 851/15 – FamRZ 2016, 470).
A. Problemstellung
Wie ist das Kindergeld im paritätischen Wechselmodell zu verteilen, wenn die Eltern ausdrücklich keine Regelung zum Kindesunterhalt treffen?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Sachverhalt
Die drei minderjährigen Kinder hielten sich jeweils im wöchentlichen Wechsel bei ihren geschiedenen Eltern auf. Die Eltern waren sich darüber einig, gegenseitig auf Kindesunterhalt zu verzichten. Jeder betreute und verpflegte die Kinder nach seinem Gutdünken. Der Vater der Kinder beanspruchte von der Mutter die Hälfte des von ihr bezogenen Kindergeldes. Sowohl das AG Schleswig als auch das OLG Schleswig gaben dem Vater Recht.
Argumentation des BGH
Der BGH hob diese Entscheidungen teilweise auf und sprach dem Vater nur ein Viertel des Kindergeldes zu. Die Hälfte des Kindergeldes sei gemäß § 1612b Abs. 1 Nr. 1 BGB auf den Unterhaltsbedarf der Kinder anzurechnen, unabhängig davon, ob ein Elternteil Unterhalt zahle. Daher stünde nur noch die zweite Hälfte des KIndergeldes für die Verteilung unter den Eltern zur Verfügung. Dieses Vorgehen folge daraus, dass zwischen Natural- und Betreuungsunterhalt zu unterscheiden sei. Da im sog. Residenzmodell ein Elternteil die Kinder betreue, treffe den anderen die Barunterhaltspflicht, wobei sowohl die Betreuungsleistung als auch die Barunterhaltspflicht wertmäßig gleich zu behandeln seien. Wollte man das Kindergeld hälftig verteilen, wäre lediglich der hälftige Betreuungsanteil der Eltern abgedeckt, der Unterhaltsbedarf der Kinder aber nicht gesichert.
Positionen in Rechtsprechung und Literatur
Nun gibt es in der Fachliteratur und Rechtsprechung drei wesentliche Lösungsansätze: Die hälftige Verteilung des Kindergeldes unabhängig von Unterhaltszahlungen, die quotenmäßige Verteilung des Kindergeldes nach Einkommen und die hälftige Anrechnung des Kindergeldes und anschließend quotenmäßige Berechnung eines Ausgleichsbetrages zugunsten des schlechter verdienenden Elternteils. Leider schloss sich der BGH der dritten Ansicht an, die auch das OLG Dresden in seinem Beschluss vom 29.10.2015 (20 UF 851/15) vertrat, was dort zu einem extrem ungerechten Verteilungsergebnis führte.
C. Kontext der Entscheidung
Ungerechte Berechnungsmethode
Mit seiner Entscheidung bestätigt der BGH den von Gutdeutsch-Seiler vertretenen, komplizierten und rechtlich fragwürdigen Berechnungsansatz, der die in der Regel schlechter verdienenden Mütter bevorzugt (vgl. Maes, jurisPR-FamR 10/2016 Anm. 2).
Eingriff in Autonomie der Eltern
Im vorliegenden Fall ignorierte der BGH die Absprache der Eltern, wechselseitig auf Kindesunterhalt zu verzichten und entschied zugunsten der Mutter, dass sie im Ergebnis ¾ des von ihr bezogenen Kindergeldes behalten darf.
Weiter bestätigt der BGH indirekt die Entscheidung des OLG Dresden vom 29.10.2015 (20 UF 851/15), welches Ausgleichsbeträge zugunsten der Mutter unter Anwendung der vom BGH abgesegneten Berechnungsmethode gegen den Vater festgesetzt hatte.
D. Auswirkungen für die Praxis
Wechselmodell wird erschwert
Die vorliegende Entscheidung zeigt die ablehnende Haltung des BGH zu dem immer häufiger praktizierten Wechselmodell. Sie erschwert die durch den Vater zusätzlich erbrachte Betreuung der Kinder, indem ihm der entsprechende finanzielle Ausgleich verweigert wird. Bei der Begründung wird deutlich, dass vom Ergebnis her argumentiert wird.
Hausfrauenehe wird begünstigt
Offenbar soll die im Rückzug begriffene Hausfrauenehe neu belebt werden. Um den Wunsch vieler Eltern zu fördern, ihre Kinder im Wechsel zu betreuen, sind einfache und gerechte finanzielle Lösungen nötig. Die hat der BGH erst einmal verhindert.
Angesichts erheblicher argumentativer Schwächen in der Begründung sollten sich die Rechtsanwender weiterhin um gerechte Lösungen bemühen, zumal der BGH nur entscheiden darf, wenn ein Oberlandesgericht die Revision zulässt.
Fehler in der Argumentation des BGH
Der Hauptargumentationsfehler des BGH besteht darin, zwischen Bar- und Naturalunterhalt im Wechselmodell zu unterscheiden. Diese Begriffspaare wurden im Zusammenhang mit dem Residenzmodell entwickelt. Das sind die Fälle, in denen die Kinder sich bei der Mutter aufhielten und der Vater Barunterhalt zahlen musste. Insoweit wurden die Betreuungsleistung der Mutter und die Mittel, die sie aufwenden musste, um die Kinder zu verpflegen und zu beherbergen, richtigerweise als Naturalunterhalt bezeichnet. Folglich stellte die Rechtsprechung die Betreuungsleistung dem Barunterhalt wertmäßig gleich. Konsequenterweise konnte sich der unterhaltzahlende Vater das hälftige Kindergeld vom Tabellenbetrag abziehen (vgl. § 1612b BGB Abs. 1 Nr. 1 BGB). Hiergegen ist nichts einzuwenden.
Angewandtes Recht passt nicht für das Wechselmodell
Allerdings passt das gesamte Regelwerk nicht für das Wechselmodell. Hier ist, ähnlich wie bei zusammenlebenden Elternteilen, im Prinzip von einer gemeinsamen Betreuung des Kindes auszugehen, die durch das Wechseln des Kindes von einem Haushalt in den anderen organisiert wird. Entgegen der Auffassung des BGH sind die Begriffspaare Barunterhalt und Naturalunterhalt überflüssig, da die Eltern bereits aus der Vorschrift des § 1626 BGB verpflichtet sind für die Kinder zu sorgen, was Beköstigung, Unterbringung des Kindes und Betreuung des Kindes einschließt. Nach allem ist eine Aufspaltung in Natural- und Barunterhalt überhaupt nicht angezeigt und daher künstlich.
Dementsprechend überzeugt die Begründung des BGH nicht und ist in sich widersprüchlich. Es fängt bereits damit an, dass entgegen dem Wortlaut der Vorschrift des § 1612b Abs. 1 Nr. 1 BGB, der ausdrücklich für das Residenzmodell geschaffen wurde, auch beim Wechselmodell eine hälftige Anrechnung des Kindergeldes auf den Unterhaltsbedarf der Kinder erfolgen soll.
Verstoß des BGH gegen den Gesetzeswortlaut
Diese Auslegung spricht zum einen gegen den Wortlaut, zum anderen gegen die Systematik des Gesetzes. Tatsächlich ist das volle Kindergeld bedarfsdeckend abzuziehen. Der Restbedarf des Kindes ist auch nicht der Düsseldorfer Tabelle zu entnehmen, sondern eigenverantwortlich von jedem Elternteil zu erbringen, und zwar in der Höhe, die seinem Einkommen entspricht.
Sollte es in diesem Modell zu einer Bedürftigkeit eines Elternteils kommen, ist der andere Elternteil hierfür nicht verantwortlich.
Unzulässige Entlastung der Sozialkassen
Wenn der BGH mit seiner Entscheidung die Entlastung der Sozialkassen bezweckt haben sollte, hätte das in die Begründung aufgenommen werden müssen und allein dadurch die Entscheidung angreifbar gemacht. Das wollte er offenbar mit einer komplizierten, undurchdringlichen und auf Zirkelschlüssen beruhenden Argumentation verhindern.
Vor diesem Hintergrund sollten sich Rechtsanwälte und betroffene Richter weiterhin für eine gerechte Lösung und eine nachvollziehbare Lösung ohne großartigen Rechenweg einsetzen, um das Wechselmodell dort zu fördern, wo es von den Eltern gewünscht ist.