Gesamtschuldnerausgleich bei Unterhalt – OLG Bremen 21.8.2006
Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Vereinbarungen über Gesamtschuldnerausgleich bei Unterhalt.
Anm. Maes zu OLG Bremen, Beschluss vom 21.08.2006, Az. 4 W 24/06 in Juris Praxisreport Familien- und Erbrecht 16/07 vom 7.8.2007
Leitsätze:
- In der Vereinbarung der Parteien, dass eine Partei den gemeinsamen Kredit abträgt und die andere im Gegenzug dafür keinen Ehegattenunterhalt geltend macht, liegt eine anderweitige Bestimmung i.S.d. § 426 I 1 BGB, die den Anspruch auf Gesamtschuldnerausgleich ausschließt.
- Fallen die Voraussetzungen für den Unterhaltsanspruch später weg, etwa im Falle der Verwirkung nach § 1579 BGB, fällt damit zugleich die Geschäftsgrundlage der den Gesamtschuldnerausgleich betreffenden Vereinbarung i.S.v. § 242 BGB bzw. § 313 BGB n.F. weg, ohne dass es einer vorherigen Kündigung der Vereinbarung bedarf.
Orientierungssatz des Autors
Gesamtschuldnerausgleich bei Unterhalt, der im Hinblick auf einen Unterhaltsverzicht ausgeschlossen ist, kann rückwirkend ab der Verwirkung der Unterhaltsansprüche geltend gemacht werden. Eine gesonderte Kündigung ist nicht erforderlich. Dem Unterhaltsgläubiger steht keine Einrede der Entreicherung zu.
A. Problemstellung
Unter welchen Bedingungen können ursprünglich ausgeschlossene Gesamtschuldnerausgleichsansprüche rückwirkend geltend gemacht werden, wenn der Ausschluss durch Wegfall des Unterhaltsanspruchs hinfällig geworden ist?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Nach der Trennung waren die Eheleute überein gekommen, dass der Ehemann sämtliche Raten der gemeinsamen Kredite allein zahlt und die Ehefrau im Gegenzug keine Unterhaltsansprüche geltend macht. Die Ehefrau betreute die gemeinsamen minderjährigen Kinder. Ein halbes Jahr nach der Trennung ging die Ehefrau eine eheähnliche Beziehung mit einem anderen Mann ein. Fünf Jahre später machte der inzwischen geschiedene Ehemann Gesamtschuldnerausgleichsansprüche gegen die Ehefrau geltend, und zwar rückwirkend für etwa 2½ Jahre.
Das Landgericht hatte dem Ehemann Prozesskostenhilfe insoweit versagt, als er rückwirkend Gesamtschuldnerausgleich von seiner inzwischen geschiedenen Ehefrau verlangte.
In Übereinstimmung mit der familiengerichtlichen Rechtsprechung kam das Landgericht zu dem Ergebnis, die eheähnliche Lebensgemeinschaft habe sich spätestens nach 2-3 Jahren verfestigt, so dass die Ehefrau ab diesem Zeitpunkt ihren Unterhaltsanspruch gem. § 1579 Nr. 7 BGB verwirkt habe. Allerdings könne der Ehemann ab diesem Zeitpunkt keinen Gesamtschuldnerausgleich verlangen, da der durch die Unterhaltsverwirkung eingetretene Wegfall der Geschäftsgrundlage rückwirkend nicht geltend gemacht werden könne.
Diese Auffassung wurde vom OLG Bremen nicht geteilt. Es liege zwar keine Unterhaltsvereinbarung im engeren Sinne vor, allerdings weise die Vereinbarung über den Gesamtschuldnerausgleich unterhaltsrechtliche Bezüge auf. Damit sei sie genauso zu beurteilen wie eine Unterhaltsvereinbarung, die rückwirkend abgeändert werden dürfe. Eine zusätzliche Aufkündigung der Vereinbarung durch den Ehemann sei entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht zu verlangen.
Dem stehe auch nicht entgegen, dass sich die Ehefrau gegenüber der Ausgleichsforderung aus § 426 BGB – anders als im Falle überzahlten Unterhalts – nicht auf Entreicherung berufen könne. Schließlich werde sie vom Ehemann nicht im Wege ungerechtfertigter Bereicherung gem. § 812 ff. BGB in Anspruch genommen. Allerdings stehe ihr der Verwirkungseinwand nach § 242 BGB zu. Im Rahmen dieses Rechtsinstituts sei maßgeblich auf die Zumutbarkeit einer rückwirkenden Abänderung abzustellen. Das Umstandsmoment sei von der Ehefrau darzulegen. Es sei umso eher zu bejahen, je genauer der Ehemann die Umstände der Verwirkung kannte, ohne die Ehefrau auf die Konsequenzen hingewiesen zu haben. Jedoch habe sich die Ehefrau auf Verwirkung nicht berufen.
Auch sei der Selbstbehalt der Ehefrau sei nicht tangiert. Zum einen sei ihr kein Abzug wegen überobligatorischer Tätigkeit zu gewähren. Zum anderen sei ihr ein fiktives Einkommen für erbrachte Versorgungsleistungen zugunsten ihres Lebenspartners zuzurechnen. Das betrage nach Ziffer 6 der Unterhaltsleitlinien der Familiensenate des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen 250 € bis 500 €. Mit Vollendung des fünfzehnten Lebensjahres des jüngsten Kindes im Februar 2006 sei die Ehefrau ohnehin verpflichtet, einer vollen Erwerbstätigkeit nachzugehen.
C. Kontext der Entscheidung
Streitigkeiten über die Rückzahlung gemeinsamer Verbindlichkeiten aus der Ehezeit werden bislang vor den Zivilgerichten ausgetragen. Da sie in den meisten Fällen unterhaltsrechtliche Bezüge aufweisen, sollen sie im Rahmen einer grundlegenden Reform des Familienrechts ab Mitte 2009 den Familiengerichten zugewiesen werden.
Während der Ehe bedient i.d.R. der alleinverdienende Ehepartner die gemeinsamen Verbindlichkeiten. Nach der Trennung muss sich der andere daran beteiligen, was häufig dadurch erfolgt, dass er darauf verzichtet, Unterhaltsansprüche geltend zu machen.
Probleme treten dann auf, wenn ein Ehepartner rückwirkend die Hälfte der Kreditraten geltend macht. Dann muss der andere beweisen, dass für diese Zeit eine „anderweitige Bestimmung“ i.S.d. § 426 BGB getroffen war, etwa die interne Verrechnung mit Ehegattenunterhalt.
Das OLG Köln vertritt im Beschluss vom 26.10.1998 (13 U 1/98 – FamRZ 1999, 1501) die Auffassung, der Gesamtschuldnerausgleich sei nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass ein Ehepartner die Raten alleine zahlt, während der andere keinen Unterhalt geltend macht. Demgegenüber sieht das OLG München im Beschluss vom 05.07.2005 (16 UF 775/05 – FamRZ 2006, 208) in dieser Praxis einen stillschweigend vereinbarten Ausschluss des Gesamtschuldnerausgleichs.
Der BGH scheint im Urteil vom 11.05.2005 (XII ZR 289/02 – FamRZ 2005, 1236) dem OLG Köln folgen zu wollen. Denn er verlangt neben der geübten Praxis eine wenigstens stillschweigende Vereinbarung der Eheleute. Im entschiedenen Fall konnte er offen lassen, welche konkreten Anforderungen hieran zu stellen sind. In einem älteren Urteil vom 13.01.1993 (XII ZR 212/90 – NJW-RR 1993, 386) ließ der BGH es ausreichen, dass der eine Ehegatte keinen Nutzungsausfall vom anderen verlangte und der andere keinen Gesamtschuldnerausgleich geltend machte. Von einer stillschweigenden Vereinbarung sprach der BGH nicht explizit.
D. Auswirkungen für die Praxis
Das OLG Bremen unterscheidet erstmalig zwischen Vereinbarungen über den Gesamtschuldnerausgleich mit „unterhaltsrechtlichen Bezügen“ und reinen Unterhaltsvereinbarungen. Obwohl in beiden Fällen im Ergebnis der eine Ehepartner die Raten eines gemeinsamen Kredits (weiterhin) alleine trägt und der andere dafür keinen Unterhalt beansprucht, sind die Rechtsfolgen unterschiedlich:
In beiden Fällen ist zwar eine rückwirkende Abänderung möglich, wenn der Unterhaltsanspruch erlischt. In der ersten Variante entfällt allerdings der Einwand der Entreicherung bereits verbrauchten Unterhalts. Der Unterhaltsgläubiger wird ausschließlich auf den Verwirkungseinwand verwiesen. Beim Betreuungsunterhalt ist außerdem der Einwand des Selbstbehalts beachtlich.
Wurde keine ausdrückliche Vereinbarung getroffen, besteht die Gefahr, für solche Zeiten, in denen Trennungsunterhalt hätte geltend gemacht werden können, auf Gesamtschuldnerausgleich in Anspruch genommen zu werden. So etwa OLG Köln, Beschl. v. 26.10.1998 – 13 U 1/98 – FamRZ 1999, 1501. Sehr schwer nachweisbar ist eine sogenannte „stillschweigende Vereinbarung“, die der BGH neuerdings als Minimalvoraussetzung verlangt. Hier kann der Betroffene nur noch auf eine für ihn günstige Auslegung der Gerichte hoffen.
Siehe auch: Vermögensteilung bei Scheidung