BGH verweigert Vaterschaft für leiblichen Vater
Der BGH verweigerte dem leiblichen Vater die Vaterschaft, selbst, nachdem er die Mutter seiner Tochter geheiratet hatte.
Der Grund: Ein anderer Mann hatte die Vaterschaft anerkannt und regelmäßigen Umgang mit dem Kind.
Anmerkung Maes zum BGH Beschluss vom 15.11.2017, Az. XII ZB 389/16 in Juris Praxis Report Familienrecht, Ausgabe 9/2018 vom 8.5.2018
Originaltitel:
Abstammungsrecht im Wandel: Keine Vaterschaftsanfechtung bei sozial-familiärer Beziehung des leiblichen und des rechtlichen Vaters zum Kind
Leitsätze
- Bei Bestehen einer sozial-familiären Beziehung zwischen Kind und rechtlichem Vater ist der Antrag des leiblichen Vaters auf Anfechtung der Vaterschaft stets unbegründet (Fortführung von BGH, Beschl. v. 18.10.2017 – XII ZB 525/16 und BGH, Urt. v. 06.12.2006 – XII ZR 164/04 – BGHZ 170, 161 = FamRZ 2007, 538).
- Eine Auslegung des Gesetzes dahin, dass die Anfechtung dennoch möglich sei, wenn der leibliche Vater seinerseits eine sozial-familiäre Beziehung zu dem Kind habe und mit ihm in einer Familie zusammenlebe, ist nicht zulässig.
- Das mit einer bestehenden sozial-familiären Beziehung einhergehende Elternrecht des rechtlichen Vaters ist auch in dieser Konstellation gegenüber dem grundrechtlich geschützten Interesse des leiblichen Vaters, die rechtliche Vaterstellung erlangen zu können, vorrangig (im Anschluss an BVerfG, Beschl. v. 09.04.2003 – 1 BvR 1493/96 – BVerfGE 108, 82 = FamRZ 2003, 816 und BGH, Urt. v. 06.12.2006 – XII ZR 164/04 – BGHZ 170, 161 = FamRZ 2007, 538).
A. Problemstellung
Der BGH hatte sich mit der Auslegung des § 1600 Abs. 2 BGB zu befassen, wenn sowohl der leibliche, als auch der rechtliche Vater eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind haben.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Sachverhalt
Kurz vor der Geburt der gemeinsamen Tochter kam es zur Trennung der Eltern. Die Mutter wandte sich wieder ihrem früheren Partner zu, mit dem sie zwei gemeinsame Söhne hat. Dieser erkannte die Vaterschaft der Tochter an. Ein Jahr später trennte sie sich von ihm und lebt seitdem wieder mit dem Antragsteller (dem Vater der Tochter) zusammen, den sie im Oktober 2016 heiratete.
Der frühere Partner hatte für alle drei Kinder ein Umgangsrecht erstritten, welches er auch weiterhin wahrnimmt. Mit seinem seit August 2014 anhängigen Antrag hat der Antragsteller die Vaterschaft des früheren Partners seiner Ehefrau angefochten.
Auslegung durch Amtsgericht und Oberlandesgericht
Das Amtsgericht hat den Antrag auf Feststellung der Vaterschaft als unzulässig zurückgewiesen. Es bestehe eine sozial-familiäre Beziehung des Kindes zum früheren Partner der Mutter. Auf die Beschwerde des Antragstellers hat das OLG Hamm die Vaterschaft des Antragstellers festgestellt.
Im Wege historischer und teleologischer Auslegung sei § 1600 Abs. 2 BGB dahin auszulegen, dass er die Anfechtung durch den leiblichen Vater nicht ausschließe, wenn dieser ebenfalls eine sozial-familiäre Beziehung zu dem Kind habe und mit ihm in einer Familie zusammenlebe.
Nach der Entscheidung des BVerfG vom 09.04.2003 (1 BvR 1493/96) folge aus Art. 6 Abs. 2 GG zwar nicht das Recht, vorrangig die Vaterschaft eingeräumt zu erhalten, allerdings habe der Gesetzgeber die vorliegende Konstellation nicht vor Augen gehabt. Der vom Gesetzgeber bezweckte Schutz der sozialen Familie könne hier nur erreicht werden, wenn der leibliche Vater auch die Rolle des rechtlichen Vaters einnehme. Dem rechtlichen Vater stehe immer noch ein Umgangsrecht zu, das sogar durch eine gerichtliche Umgangsvereinbarung geschützt sei (vgl. Beitrag Umgangsrecht des biologischen Vaters).
Bundesgerichtshof
Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg. Der BGH hat das amtsgerichtliche Urteil wieder hergestellt.
wortlaut des Gesetzes ist maßgebend
Nach dem Wortlaut des Gesetzes sei eine Anfechtung der Vaterschaft nur möglich, wenn keine sozial-familiäre Beziehung zwischen Kind und rechtlichem Vater bestehe. Es komme nicht darauf an, ob auch der leibliche Vater eine sozial-familiäre Beziehung zu seinem Kind habe.
Zusammenleben mit der Mutter des Kindes unwichtig
Außerdem komme es nach dem Gesetzeswortlaut nicht darauf an, dass der Antragsteller mit der Mutter des Kindes zusammenlebe. Abgesehen davon stehe dem leiblichen Vater gemäß § 1686a BGB ein Umgangsrecht zu, das ebenfalls zu einer sozial-familiären Beziehung führen könne, ohne dass daraus schon ein Recht auf Feststellung der Vaterschaft folge.
Daher entspreche die wortlautgetreue Gesetzesanwendung den Vorgaben des BVerfG, das die gesetzliche Regelung bislang auch nicht beanstandet habe. Sie sei auch mit Art. 8 EMRK vereinbar, wie der EGMR im Urteil vom 22.03.2012 (45071/09 Rn. 64 ff.) festgestellt habe.
Interessenabwägung nicht geboten
Zwar sei die vorliegende Konstellation noch nicht durch Gerichte entschieden worden, allerdings habe der deutsche Gesetzgeber aus Gründen der Rechtssicherheit eine Abwägung der Interessen von leiblichem und rechtlichem Vater nicht vorgesehen.
C. Kontext der Entscheidung
Bundesverfassunggericht eröffnet Vaterschaft für leibliche, nichtverheiratete Väter
Bis zur Entscheidung des BVerfG vom 09.04.2003 (1 BvR 1493/96) folge aus Art. 6 Abs. 2 GG war einem leiblichen Vater das Recht auf Vaterschaftsanfechtung grundsätzlich verwehrt. In der Anhörung durch das BVerfG hatte der BGH ohne Erfolg dafür plädiert, diese Rechtslage beizubehalten. Durch Gesetzesänderung am 30.04.2004 wurde in § 1600 Abs. 2 BGB die Vaterschaftsanfechtung auf die Fälle beschränkt, in denen der rechtliche Vater keine sozial-familiäre Beziehung zum Kind hat.
Auswirkung der BGH Entscheidung
Die enge Auslegung des BGH führt zu der misslichen Situation, dass der biologische Vater trotz Ehe mit der Mutter seiner Tochter die Vaterschaft nicht erlangen kann.
Aktuelle Urteile zur Anerkennung der Vaterschaft
In letzter Zeit sind eine Reihe weiterer Entscheidungen zum Statusrecht ergangen, weil sich neben den herkömmlichen Familienstrukturen weitere Formen des familiären Zusammenlebens gebildet haben.
Vaterschaft für Samenspender
Mit Beschluss vom 15.05.2013 (XII ZR 49/11) hatte der BGH einem Samenspender die Vaterschaft zugesprochen, weil kein vertraglicher Verzicht auf eine Elternschaft bestanden und der rechtliche Vater durch seine Vaterschaftsanerkennung keine sozial-familiäre Beziehung zum Kind, sondern eine Erleichterung der Adoption des Kindes durch die gleichgeschlechtliche Partnerin der Mutter bezweckt habe.
Keine Vaterschaft für Frau nach Geschlechtsumwandlung zum Mann
Mit Beschluss vom 06.09.2017 (XII ZB 660/14) hatte der BGH den Antrag einer Frau auf Feststellung der Vaterschaft zurückgewiesen, die nach behördlich bescheinigter Geschlechtsumwandlung zum Mann ihre Hormonpräparate abgesetzt und ein Kind zur Welt gebracht hatte. Der BGH sah sie als Mutter des Kindes gemäß § 1591 BGB an, was einer Vaterschaft entgegenstehe.
Keine Mutterschaft für Geschlechtsumwandlung zur Frau
Mit Beschluss vom 29.11.2017 (XII ZB 459/16) hatte der BGH den Antrag auf Mutterschaft einer Frau nach Geschlechtsumwandlung Mann-Frau zurückgewiesen. Ihre Partnerin war mit ihrem konservierten Samen befruchtet worden. Laut BGH bliebe ihr nur die Vaterstellung, was auch aus dem Verbot der Leihmutterschaft folge.
Arbeitskreis Abstammungsrecht plädiert für Gesetzesänderung
Der vom Bundesjustizminister eingerichtete Arbeitskreis Abstammungsrecht hat in seinem Abschlussbericht vom 04.07.2017 zahlreiche Reformvorschläge für derartige Fälle unterbreitet, unter anderem auch in Bezug auf den vorliegenden Fall. In These 29 auf S. 93 des Berichts wird empfohlen, die sozial-familiäre Beziehung des genetischen Vaters zu berücksichtigen und zu gewichten. Es soll also die Vorschrift des § 1600 Abs. 2 BGB geändert werden, was letztlich die vorliegende Gesetzesauslegung des BGH bestätigt.
D. Auswirkungen für die Praxis
Gesetzesänderung zugunsten des leiblichen, nichtverheirateten Vaters sinnvoll
Die vorliegende Entscheidung des BGH erfordert eine bessere gesetzliche Umsetzung der Rechte des biologischen Vaters aus Art. 6 GG. Statusrecht und Sorgerecht gehen noch von der herkömmlichen, durch Heirat gebildeten Familie aus, obwohl immer mehr Eltern unverheiratet sind.
Trotzdem erhalten bislang nur die Mutter und der verheiratete Vater automatisch das Sorgerecht, ohne dass es darauf ankommt, ob sie auch die biologischen Eltern des Kindes sind.
Prozesslawine vermeiden
Die bisherige Rechtslage führt zwangsläufig zu einer Flut von Status- und Kindschaftsverfahren. Sie wären vermeidbar, wenn der genetische Vater ebenso wie die Mutter per Gesetz das Sorgerecht bekäme und auch jederzeit seinen Status gerichtlich feststellen lassen könnte. Dann wäre nur im Konfliktfall eine gerichtliche Klärung erforderlich. Es wäre ein ähnlicher Rückgang von Kindschaftsverfahren zu erwarten, wie nach Inkrafttreten des Kindschaftsreformgesetzes aus dem Jahr 1998, als die Eltern auch nach der Scheidung das gemeinsame Sorgerecht behielten.