Begrenzung des Betreuungsunterhalts auf drei Jahre nach Geburt des Kindes
Anmerkung Maes zu: BVerfG 1. Senat 1. Kammer, Nichtannahmebeschluss vom 22.06.2007 – 1 BvR 155/98 in jurisPR-FamR 6/2008, Anm. 1, 18.03.2008
Orientierungssatz des Autors
- Die Begrenzung des Betreuungsunterhalts auf drei Jahre nach der Geburt des Kindes verstößt nicht gegen die Grundrechte aus Art. 6 Abs. 2 und 5 GG.
- Es unterliegt dem Vorbehalt und der Einschätzung des Gesetzgebers, für wie lange er aus Kindeswohlgesichtspunkten die persönliche Betreuung des Kindes durch einen Elternteil für erforderlich hält.
A. Problemstellung
Das BVerfG hatte zu entscheiden, ob die Begrenzung des Betreuungsunterhalts für eine nicht verheiratete Mutter gemäß § 1615l Abs. 2 Satz 3 BGB a.F., gültig bis zum 30.06.1998, im Hinblick auf die abweichende Regelung für den geschiedenen Elternteil in§ 1570 BGB a.F. verfassungswidrig ist.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Unter Bezugnahme auf seine Entscheidung vom 28.02.2007 (1 BvL 9/04) hat das BVerfG die Annahme der Verfassungsbeschwerde verweigert. Die unterschiedliche Regelung des Betreuungsunterhalts für die nicht verheiratete Mutter in § 1615l Abs. 2 Satz 3 BGB und für den geschiedenen Elternteil gemäß § 1570 BGB führten nicht zur Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Vorschrift, sondern begründeten lediglich die Pflicht des Gesetzgebers, den Betreuungsunterhalt für die Eltern ehelicher und nichtehelicher Kinder einheitlich zu regeln. Der Umstand, dass die frühere Regelung des § 1615l Abs. 2 Satz 3 BGB anders als die aktuelle Fassung keine Billigkeitsregelung für den Zeitraum nach dem dritten Lebensjahr des Kindes vorsah, rechtfertige keine andere Beurteilung. Die zeitliche Begrenzung des Unterhaltsanspruchs unterliege allein der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers.
C. Kontext der Entscheidung
Mit dem Unterhaltsreformgesetz, das zum 01.01.2008 in Kraft trat, hat der Gesetzgeber versucht, die Entscheidung des BVerfG vom 28.02.2007 umzusetzen und den Betreuungsunterhalt in § 1570 Abs. 1 BGB für eheliche Kinder und in § 1615l Abs. 2 BGB für nichteheliche Kinder gleich geregelt. Allerdings hat er bei ehelichen Kindern in § 1570 Abs. 2 BGB eine zusätzliche Verlängerungsmöglichkeit des Betreuungsunterhalts geschaffen, die er der ehelichen Solidarität geschuldet sah. In seinem Nichtannahmebeschluss unterstreicht das BVerfG seine Auffassung im Beschluss vom 28.02.2007, es habe nicht darüber zu befinden, wie lange ein Kind von einem Elternteil betreut werden müsse, um keinen Schaden zu nehmen, zumal diese Frage von den Fachwissenschaften nach wie vor kontrovers diskutiert werde. Es sei jedenfalls denkbar, dass ein Kind durch ein Zusammensein mit anderen Kindern, z.B. im Kindergarten, zusätzlich in seiner Entwicklung gefördert werde. Der Gesetzgeber hat bei der Angleichung des Betreuungsunterhalts eine ganze Reihe vonÄnderungen gegenüber der bisherigen Rechtslage vorgenommen: Bis zum 30.06.1998 konnten nicht verheiratete Mütter Betreuungsunterhalt nur bis zu einer Höchstgrenze von drei Jahren ab der Geburt geltend machen. Danach endete der Unterhaltsanspruch automatisch. Eine Verlängerung war nicht möglich. In der Gesetzesfassung bis zum 31.12.2007 konnte der Betreuungsunterhalt in Fällen grober Unbilligkeit, die in der Regel bei der Betreuung behinderter Kinder vorlag, über die Höchstgrenze von drei Jahren hinaus verlängert werden. Das Unterhaltsreformgesetz hat aus der Höchstgrenze eine „Mindestgrenze“ gemacht und den Betreuungsunterhalt für eheliche und nichteheliche Kinder gleichermaßen für drei Jahre nach der Geburt garantiert. Eine Verlängerung soll schon möglich sein, wenn dies billig ist, wobei insbesondere die Belange des Kindes und die bestehenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung zu berücksichtigen sind. Im Ergebnis sollte die Verlängerung des Betreuungsunterhalts bei nichtehelichen Kindern gegenüber der alten Rechtslage leichter möglich sein, während bei ehelichen Kindern eine deutliche Einschränkung vorgenommen wurde, die mit zusätzlichen Verlängerungsmöglichkeiten gemäß § 1570 Abs. 2 BGB abgefedert werden soll. Nach den Motiven des Gesetzgebers soll für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts die bisherige Rechtsprechung zu den kindbezogenen Belangen bei § 1615l Abs. 2 Satz 2 BGB a.F. maßgebend sein (vgl. BT-Drs. 16/6980 vom 07.11.2007, S. 17). In den entschiedenen Fällen wurde der Betreuungsunterhalt maximal um drei Jahre verlängert, womit das von der Rechtsprechung zum Betreuungsunterhalt gemäß § 1570 BGB a.F. entwickelte Altersphasenmodell verabschiedet wäre. Das OLG Rostock (Urt. v. 08.11.2006 – 10 UF 50/05) verlängerte den Unterhaltsanspruch der nicht verheirateten Mutter um zwei Jahre und neun Monate bei Neurodermitis und Lernbehinderung des Kindes. Das OLG Celle (Urt. v. 21.11.2005 – 21 UF 96/01 – FamRZ 2002, 636) verlängerte den Betreuungsunterhalt um vier Monate bei Sprachstörungen des Kindes. Das OLG Hamm verlängerte mit Urteil vom 04.11.2004 (3 UF 555/01 – FamRZ 2005, 1276, 90) den Betreuungsunterhalt um drei Jahre bei einem Kind mit schwerer Polyarthritis. Soweit der Gesetzgeber beim Betreuungsunterhalt gemäß § 1570 Abs. 2 BGB eine Verlängerung auch bei elternbezogenen Gründen zugelassen hat, stellt sich bereits die Frage, ob damit die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 28.02.2007 eingehalten wurden, da Kinder verheiratet gewesener Eltern allein dadurch bevorzugt sein könnten, dass nicht ausschließlich kindbezogene, sondern auch elternbezogene Gründe zu einer Verlängerung des Betreuungsunterhalts und damit zu ihrer Besserstellung führen können. Allerdings hatten einige Gerichte bei der Verlängerung des Betreuungsunterhalts nach § 1615l Abs. 2 BGB a.F. auch elternbezogene Gründe berücksichtigt: Das OLG Düsseldorf verlängerte mit Urteil vom 23.05.2005 (2 UF 125/04) den Betreuungsunterhalt um drei Jahre, weil die Kindeseltern viele Jahre zusammengelebt hätten und das Versprechen des Vaters, für die Familie zu sorgen, für die Mutter mitbestimmend gewesen sei, auch das zweite Kind auszutragen. Das OLG Karlsruhe hielt Belange der Kindesmutter bei der Verlängerung des Mindestbetreuungsunterhalts grundsätzlich für beachtlich, lehnte im konkreten Fall aber eine Verlängerung des Betreuungsunterhalt ab, weil keine gemeinsame Lebensplanung der nicht verheirateten Eltern vorgelegen habe (OLG Karlsruhe, Urt. v. 04.09.2003 – 2 UF 6/03 – FamRZ 2004, 974). Das OLG Frankfurt verlängerte den Betreuungsunterhalt um drei Jahre, weil der Kindesvater einen besonderen Vertrauenstatbestand geschaffen habe (OLG Frankfurt, Urt. v. 13.10.1999 – 2 UF 335/98 – FamRZ 2000, 1522). Er habe eingewilligt, dass die Mutter die gemeinsamen Kinder betreut und er den hierfür benötigten Unterhalt sicherstellt.
D. Auswirkungen für die Praxis
Richter und Rechtsanwälte sind als Organe der Rechtspflege gleichermaßen aufgerufen, an der Rechtsentwicklung zur konkreten Ausgestaltung des Unterhaltsreformgesetzes mitzuwirken. Zahlreiche Fragen sind zu klären: Ist die zusätzliche Verlängerungsmöglichkeit des Betreuungsunterhalts gemäß § 1570 Abs. 2 BGB verfassungswidrig? Sind elternbezogene Gründe beim Betreuungsunterhalt zu berücksichtigen oder eher beim Aufstockungsunterhalt? In welchem Verhältnis stehen Betreuungs- und Aufstockungsunterhalt künftig zueinander? Verlängert sich der titulierte Mindestbetreuungsunterhalt automatisch, wenn die materiellen Voraussetzungen vorliegen oder ist nach Ablauf von drei Jahren eine Abänderung des Titels erforderlich? Ist die Abänderung von unbefristeten Ehegattenunterhaltstiteln präkludiert, wenn eine Befristung grundsätzlich schon nach der alten Rechtslage möglich gewesen wäre? Wie ist in diesem Zusammenhang die langjährige Praxis der Rechtsprechung zur Ehedauer bewerten, die erst in jüngerer Zeit aufgegeben wurde? Wie ist der Vertrauenstatbestand des § 36 EGZPO auszulegen? In der Beratungspraxis gilt es, die Mandanten auf die zurzeit unsichere Rechtslage und das damit verbundene Prozessrisiko hinzuweisen. Unterhaltsvergleiche sollten in einer Präambel einen deutlichen Hinweis auf die derzeit ungeklärten Fragen enthalten. Der Vertreter des Unterhaltsberechtigten sollte im Rechtsstreit sämtliche kindbezogenen und elternbezogenen Gründe aufführen, die eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts billig erscheinen lassen. In verschiedenen Bundesländern, z.B. Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg, wäre darauf hinzuweisen, dass es dort noch keine flächendeckende Versorgung mit Kindergartenplätzen gibt. Die spezielle Situation der betroffenen Gemeinde ist zu ermitteln. Der Vertreter des Unterhaltspflichtigen sollte Gründe aufführen, die für eine Fremdbetreuung des Kindes sprechen, etwa die Förderung der Entwicklung des Kindes durch das Zusammensein mit anderen Kindern im Kindergarten, spezielle pädagogische Förderung durch ausgebildete Erzieher, Abnabelung von der Mutter etc.