Amtsermittlungspflicht des Familiengerichts bei notariell ausgeschlossenem Versorgungsausgleich
Anm. Maes zu OLG Brandenburg vom 11.08.2015, Az 13 UF 102/14 in Juris Praxisreport Familienrecht 21/15 v. 13.10.2015
Orientierungssatz zur Anmerkung
Das Amtsgericht ist bei notariell ausgeschlossenem Versorgungsausgleich zur Tatsachenaufklärung verpflichtet, wenn das Vorbringen der Beteiligten oder die Umstände hierzu Veranlassung geben.
A. Problemstellung
Jede notarielle Vereinbarung der Eheleute über den Versorgungsausgleich gem. § 6 VersAusglG muss gem. § 8 VersAusglG einer Inhalts- und Ausübungskontrolle standhalten. Das Familiengericht ist gem. § 6 Abs. 2 VersAusglG nur dann an die Vereinbarung gebunden, wenn keine Wirksamkeits- und Durchsetzungshindernisse bestehen. Die Prüfung hat gem. § 26 FamFG von Amts wegen zu erfolgen.
Umstritten ist, wie intensiv der Amtsrichter in die Prüfung einsteigen muss. Nach einer Meinung sind gem. § 220 Abs. 1 FamFG nur dann die Auskünfte der Versorgungsträger einholen, wenn konkrete Anhaltspunkte oder das Vorbringen der Beteiligten hierzu Anlass geben. Das wird etwa vom OLG Rostock vertreten. (vgl. Beschl. v. 24.09.2014 – 11 WF 165/11 – m. Anm. Bergmann, FamRZ 2015, 925).
Nach anderer Meinung ist immer eine Auskunft einzuholen, da Anhaltspunkte schließlich nicht vom Himmel fallen. (vgl. Borth, Anm. zu OLG Rostock in FamRZ 2015, 411).
Rehme in Schulte-Buhnert Weinreich, FamFG, 4. Aufl. 2014, zu § 224 Rn. 6) folgert aus dem Beschluss des BGH vom 22.10.2008 (Az. XII ZB 110/06), der Familienrichter müsse die formellen und materiellen Wirksamkeitsvoraussetzungen einer umfassenden Kontrolle unterziehen.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Verfahren vor dem Amtsgericht
Die Eheleute hatten unter anderem den Versorgungsausgleich zulasten des Ehemannes notariell ausgeschlossen. In dem von der Ehefrau eingeleiteten Scheidungsverfahren beantragte der Ehemann, die Auskünfte der Versorgungsträger einzuholen und den Versorgungsausgleich durchzuführen.
Er machte geltend, der notarielle Ehevertrag halte einer Ausübungskontrolle nicht stand. Er sei durch die Kinderbetreuung und das Führen des gemeinsamen Haushalts über mehr als sechseinhalb Jahre daran gehindert gewesen, hinreichende Versorgungsansprüche zu erwerben. Dadurch würde der Ausschluss des Versorgungsausgleichs zu einer für ihn unzumutbaren Lastenverteilung führen. Zum damaligen Zeitpunkt erzielte die Ehefrau als Beamtin ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von ca. 3.300 Euro, der Ehemann als Verwaltungsangestellter von ca. 1.400 Euro.
Das Amtsgericht führte die Ehescheidung durch, ohne den Versorgungsausgleich durchzuführen, weil Wirksamkeitshindernisse nach den §§ 7, 8 VersAusglG nicht ersichtlich seien.
Entscheidung des OLG
Auf die Beschwerde des Ehemannes wurde die Entscheidung aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen. Das Amtsgericht habe gegen die ihm obliegende Amtsermittlungspflicht gem. § 26 FamFG verstoßen, indem es die für die richterliche Kontrolle des Ehevertrages nach § 8 VersAusglG unverzichtbare Tatsachenaufklärung unterlassen habe.
Die richterliche Kontrolle sei immer dann vom Tatrichter durchzuführen, wenn das Vorbringen der Beteiligten oder die Sachverhaltsumstände hierzu Anlass gäben (BGH, Beschl. v. 29.01.2014 – XII ZB 303/13 Rn. 1), etwa, wenn ein typischer Fall aus einer Unwirksamkeitsfallgruppe vorläge, z.B. bei langjähriger Betreuung gemeinsamer Kinder und erheblichem Einkommensunterschied der Ehepartner (vgl. Götsche in: Götsche/Rehbein/Breuers, VersAusglG, § 8 Rn. 58, m.w.N.). Daher habe das Amtsgericht die Auskünfte der Versorgungsträger einholen müssen. Mangels Entscheidungsreife sei die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Zur Wahrung einer einheitlichen Verbundentscheidung nach § 142 FamFG sei auch der Scheidungsausspruch aufzuheben.
C. Kontext der Entscheidung
Neue Gesetzeslage seit 2009
Mit Einführung des VersAusglG zum 01.09.2009 wollte der Gesetzgeber die Privatautonomie der Eheleute stärken und ihnen die Möglichkeit geben, die Scheidungsfolgen inkl. des Versorgungsausgleichs selber zu regeln.
Abweichung vom Halbteilungsprinzip
Durch den Wegfall des früheren § 1587o BGB kann nun bei der Vereinbarung zum Versorgungsausgleich gem. § 6 VersAusglG vom Halbteilungsprinzip abgewichen werden. Selbst der vollständige Ausschluss des Versorgungsausgleichs bei einer Alleinverdiener-Ehe kann einer ehevertraglichen Wirksamkeitskontrolle standhalten, wenn er durch andere Regelungen kompensiert wird (vgl. BGH, Beschl. v. 29.01.2014 – XII ZB 303/13).
Einschränkung der Überprüfungsbefugnis des Familiengerichts
Vor diesem Hintergrund ist neu zu bestimmen, wann der Familienrichter eine notarielle Vereinbarung zum Versorgungsausgleich gem. § 8 VersAusglG kontrollieren muss und wann nicht. Wenn keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich sind und die Wirksamkeit der Vereinbarung von keinem Ehepartner gerügt wird, darf der Amtsrichter keine weiteren Ermittlungen anstellen. Folglich darf er die Eheleute auch nicht zwingen, die Fragebögen zum Versorgungsausgleich auszufüllen (vgl. OLG Rostock, Beschl. v. 24.09.2014 – 11 WF 165/11).
Meinungsstreit in der Literatur
Soweit sich die Literaturmeinung hiergegen wendet, argumentiert sie wohl noch von der alten Rechtslage her. Danach sollte der Familienrichter die Umsetzung des Halbteilungsprinzips beim Versorgungsausgleich zu begleiten und überwachen. Demgegenüber war der vertragliche Ausschluss des Versorgungsausgleichs äußerst selten war.
Vor diesem Hintergrund ließe ich gegen Borth (Anm. zu OLG Rostock in FamRZ 2015, 411) anführen, dass der Familienrichter gem. § 220 Abs. 1 FamFG Auskünfte einholen kann, aber nicht muss. Hier schematisch vorzugehen, wäre unpraktikabel und würde ein Scheidungsverfahren bei notariell ausgeschlossenem Versorgungsausgleich unzumutbar verzögern.
Die Vertragsfreiheit der Eheleute gem. § 6 VersAusglG würde ausgehöhlt, die alte Rechtslage wieder etabliert.
Demgegenüber bezieht sich Rehme in: Schulte-Buhnert Weinreich, FamFG, zu § 224 Rn. 6 auf eine BGH-Entscheidung, die aus der Zeit vor der Einführung des VersAusglG im September 2009 stammt. Deshalb ist sie auf die heutige Rechtslage nicht übertragbar.
Gerichtsentscheidung im umgekehrten Fall
Jedenfalls liegt nun auch für die entgegengesetzte Sachlage eine Entscheidung vor. Danach ist das Familiengericht immer dann verpflichtet, von Amts wegen Ermittlungen anzustellen, wenn Anhaltspunkte für eine evident einseitige und unzumutbare Lastenverteilung beim Versorgungsausgleich vorliegen. Gleiches soll gelten, wenn ein Beteiligter die Wirksamkeit eines Ehevertrages substantiiert rügt.
D. Auswirkungen für die Praxis
Damit die Amtsgerichte trotz notariell ausgeschlossenen Versorgungsausgleichs von Amts wegen die Auskünfte der Versorgungsträger einholen, ist im Scheidungsverfahren substantiiert darzulegen, weshalb eine unzumutbare Lastenverteilung bei ausgeschlossenem Versorgungsausgleich vorliegen kann. So kann das etwa wegen der Lebensbiografie eines Ehepartners oder bei fehlender Kompensation durch andere Scheidungsfolgen der Fall sein (vgl. BGH, Beschl. v. 29.01.2014 – XII ZB 303/13).
Letztlich liefert die derzeit noch starke Ablehnung der neueren Rechtsprechung durch Teile der Literatur reichlich Argumente, um eine Gerichtsentscheidung zu diesem Thema anzugreifen.