Wechselmodell und Sorgerecht
In einer weiteren Entscheidung zum Wechselmodell und Sorgerecht bekräftigt der BGH, dass ein Wechselmodell nur bei Kooperation der Eltern angeordnet werden darf. Aber in der Regel gibt es keine Kooperation der Eltern, wenn sie um das Wechselmodell streiten…Anmerkung Maes zu BGH, Beschluss vom 27.11.2019 – XII ZB 512/18, jurisPR-FamR 5/2020.
Deshalb spricht nach der „Logik“ des BGH und der meisten Oberlandesgerichte bereits der Streit um das Wechselmodell gegen das Wechselmodell. Allerdings ist diese „Logik“ den betroffenen Eltern kaum zu vermitteln.
Im vorliegenden Fall wurde dem Vater vorgeworfen, die Kinder, die mehr Zeit bei ihm verbringen wollten, beeinflusst zu haben. Außerdem habe er eine geringere Bindungstoleranz, als die Mutter und respektiere sie nicht.
Die Entscheidung befasst sich im Detail mit einer Rechtslage, die überholt ist.
Verschärfung der Voraussetzungen für ein Wechselmodell
Mit der vorliegenden Entscheidung verschärft der BGH seine schon in der Grundsatzentscheidung vom 01.02.2017 aufgestellten, kaum erfüllbaren Anforderungen an ein Wechselmodell. Seine prinzipielle Abneigung gegen diese Betreuungsform wird von diversen Oberlandesgerichten geteilt. Allerdings stammt seine Begründung aus den Achtzigerjahren, als mit der Scheidung von Amts wegen über das Sorgerecht der Kinder entschieden und einem Elternteil allein übertragen wurde.
Gemeinsames Sorgerecht als gesetzliches Leitbild seit 2013
Der Missstand nach alter Gesetzeslage wurde aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse durch die Kindschaftsreform 1998 beseitigt. 2013 kam dann die gesetzliche Regelung des § 1626a BGB hinzu, wonach auch nicht verheiratete Väter am gemeinsamen Sorgerecht teilnehmen dürfen. Aber diese Gesetzesänderung erfolgte nicht freiwillig, sondern auf Intervention des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Die Umsetzung wird vom BGH mit den gleichen Argumenten wie beim Wechselmodell behindert.
Der BGH verleugnet das gesetzliche Leitbild der gemeinsamen Sorge
Zwar hatte der Gesetzgeber in seinen Motiven das gemeinsame Sorgerecht zum gesetzlichen Leitmotiv erklärt. Aber auch hier ist der BGH der Auffassung, ein Vorrang finde im Gesetz keine Stütze (vgl. BGH, Beschl. v. 15.06.2016 – XII ZB 419/15 Rn. 35 Juriszitierung). Die überholten Kriterien, die früher ausschließlich bei der Übertragung des Sorgerechtes zur Anwendung kamen, werden nun auf das Wechselmodell übertragen, ohne auch nur ernsthaft darüber nachzudenken, ob das sachgerecht ist. Die Standardbegründung lautet, an ein Wechselmodell seien höhere Anforderungen an die Kooperation der Eltern zu stellen als beim herkömmlichen Residenzmodell. Außerdem biete vermehrter Umgang einem illoyalen Elternteil die Möglichkeit, stärker auf die Kinder zuungunsten des anderen einzuwirken.
Die Argumente gegen das Wechselmodell gehen fehl
Allerdings gehen beide Argumente fehl. Die Praxis in Kindschaftssachen, mit der sich der BGH kaum befassen muss, sowie die wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen, dass in hochstreitigen Elternbeziehungen schon ein spärlicher Umgang von nur drei Übernachtungen im 14-Tage-Rhythmus genügt, um Kinder unter Loyalitätsdruck gegenüber dem anderen Elternteil zu setzen und einen Loyalitätskonflikt herbeizuführen. Da der Umgang von Kindern mit dem anderen Elternteil gesetzlich vorgeschrieben ist, nimmt der Gesetzgeber diesen Missstand bei einer Rechtsgüterabwägung in Kauf. Der Umgang eines Kindes mit beiden Elternteilen ist also so wichtig, dass ein Loyalitätskonflikt des Kindes in hochstreitigen Elternkonflikten zurückzustehen hat. Siehe auch den Beitrag Paritätisches Wechselmodell.
Kritische Würdigung
Leider verkennt der BGH, dass diese Wertung richtigerweise für alle Formen des Umgangs gelten muss, also auch für das Wechselmodell. Außerdem ignoriert der BGH, dass der Loyalitätskonflikt des Kindes nach wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht auf einem illoyalen Verhalten nur eines Elternteils beruht, sondern auf dem Elternstreit insgesamt, an dem beide Eltern ihren Anteil haben. Realitätsfremd ist auch die Begründung des BGH, bei einem Wechselmodell entstehe gegenüber einem Residenzmodell größerer Abstimmungsaufwand. Das Gegenteil ist der Fall, weil die meisten Residenzmodelle neben dem Umgangswochenende noch eine weitere Übernachtung in der anderen Woche vorsehen, so dass es zu häufigeren Wechseln der Kinder kommt, als bei einem wochenweise praktizierten Wechselmodell.
Dinge des täglichen Lebens
Schließlich übersieht der BGH, dass in § 1687 BGB bereits geregelt ist, dass der Elternteil, bei dem sich die Kinder aufhalten, ohne Rücksprache mit dem anderen Elternteil alle Dinge des täglichen Lebens für die Kinder allein regeln kann. Es ist also kein erhöhter Abstimmungsbedarf nötig, damit ein Wechselmodell praktiziert werden kann.
Anträge zum Wechselmodell teuer und nur selten von Erfolg gekrönt
Nach allem wird deutlich, dass der BGH das von ihm unbeliebte Wechselmodell quasi aus der Welt geschafft hat.
Seine Grundsatzentscheidung weckte zu Unrecht die Hoffnung der betroffenen Eltern. Sie verleitet viele Eltern, ein Wechselmodell gerichtlich zu beantragen. Anschließend wundern sie sich, wenn die Gerichte das Wechselmodell ablehnen. Ist ein Gerichtsgutachten eingeholt, kostet das die Eltern ca. 10.000 Euro zusätzlich, im Grunde hinausgeworfenes Geld. Leider zeigt sich der Gesetzgeber traditionell unentschlossen, um niemanden zu verprellen. Also überlässt er es den Gerichten, die gesellschaftliche Entwicklung zu begleiten bzw. sie zu behindern. Das müssen angesichts der rückwärtsgewandten Rechtsprechung des BGH zum Wechselmodell alle Eltern ausbaden, die sich paritätisch an der Betreuung ihrer Kinder beteiligen wollen.
Leitsätze des BGH
- Die gerichtliche Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Elternteil hat keine Bindungswirkung hinsichtlich einer späteren Entscheidung zum Umgang und der sich dabei stellenden Frage, ob ein paritätisches Wechselmodell anzuordnen ist (Fortführung von BGH, Beschl. v. 01.02.2017 – XII ZB 601/15 – BGHZ 214, 31 = FamRZ 2017, 532).
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Die Entscheidung zum Umgang richtet sich in diesem Fall als Erstentscheidung nach §§ 1684, 1697 a BGB und unterliegt nicht den einschränkenden Voraussetzungen einer Abänderungsentscheidung gemäß § 1696 Abs. 1 BGB.
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Der Anordnung eines Wechselmodells kann entgegenstehen, dass der dieses begehrende Elternteil es an der notwendigen Loyalität gegenüber dem anderen Elternteil fehlen lässt. Ein gegenläufiger Wille des Kindes ist nicht ausschlaggebend, wenn dieser maßgeblich vom das Wechselmodell anstrebenden Elternteil beeinflusst ist.
Hintergrund der Entscheidung
Bis zur Grundsatzentscheidung des BGH vom 01.02.2017 (XII ZB 601/15) vertraten die meisten Obergerichte in Deutschland die Auffassung, ein Wechselmodell könne nicht im Rahmen eines Umgangsverfahrens angeordnet werden. Es greife derart in den Aufenthaltsstatus des Kindes ein, dass diese Frage im Rahmen des Sorgerechts geregelt werden müsse. Nur eine Minderheit von Gerichten ordnete das Wechselmodell im Rahmen eines Umgangsverfahrens an. An erster Stelle sei auf das Wohl des Kindes und den konkreten Umgang mit den Eltern abzustellen und nicht auf den sorgerechtlichen Status.
Zwar folgte der BGH in seiner Grundsatzentscheidung dieser Ansicht. Aber dafür baute er derart hohe Hürden auf, dass kaum noch ein Wechselmodell gegen den Willen eines Elternteils möglich ist. Das vom BGH in der vorliegenden Entscheidung hochstilisierte Problem, dass § 1696 Abs. 1 BGB nicht auf ein Verfahren zum Wechselmodell anzuwenden sei, wenn nur das parallel laufenden Sorgerechtsverfahren die Abänderung einer Erstentscheidung zum Inhalt habe, ist rein akademischer Natur und wird zukünftig keine Rolle mehr spielen.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Sachverhalt
Die Eltern eines 2008 geborenen Sohnes und 2009 geborener Zwillinge trennten sich im Jahr 2014, wobei die Mutter mit den drei Kindern aus der Familienwohnung auszog, nachdem ihr das Familiengericht das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen hatte. Im Jahr 2016 beantragte der Vater ein paritätisches Wechselmodell im Rahmen eines Abänderungsverfahrens zum Aufenthaltsbestimmungsrecht.
Änderung der Rechtslage im laufenden Verfahren
Nachdem die Grundsatzentscheidung des BGH vom 01.02.2017 ergangen war, leitete das Familiengericht von Amts wegen ein Umgangsverfahren ein, in dem über das Wechselmodell entschieden wurde. Das älteste Kind hatte sich bereits 2014 dafür ausgesprochen, beim Vater zu leben, drang damit aber nicht durch. Inzwischen wollten alle drei Kinder mehr Zeit mit dem Vater verbringen.
Ergebnis des Gutachters
Aber der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, der seit Jahren geäußerte Willen der inzwischen neun- und zehnjährigen Kinder sei nicht autonom gebildet, sondern beruhe auf den Einwirkungen des Vaters. Außerdem sei seine Bindungstoleranz, anders als bei der Mutter, stark eingeschränkt. Das Familiengericht erhöhte den Umgang um einen halben Tag auf das Verhältnis vier Nächte beim Vater und zehn Nächte bei der Mutter.
OLG verlängert den Umgang des Vaters
Das Oberlandesgericht bestätigte die Entscheidung. Allerdings verlängerte es den Umgang um eine weitere Übernachtung und damit auf das Verhältnis von fünf Nächten beim Vater gegenüber neun Nächten bei der Mutter im 14-Tage-Zyklus. Wegen des parallel geführten Abänderungsverfahrens über das Aufenthaltsbestimmungsrecht wandte das Oberlandesgericht § 1696 Abs. 1 BGB an, wonach nur unter einschränkenden Voraussetzungen die Abänderung einer Kindschaftsentscheidung möglich ist.
Begründung des BGH
Der BGH hat die Entscheidung des Oberlandesgerichts im Ergebnis bestätigt, aber die Anwendung des § 1696 Abs. 1 BGB abgelehnt. Diese Vorschrift sei auf das parallel eingeleitete Umgangsverfahren nicht anzuwenden, weil es sich um kein Abänderungsverfahren gehandelt habe. Im Übrigen habe das Oberlandesgericht aber aus zutreffenden Gründen die Anordnung eines Wechselmodells abgelehnt.
Nach dem Gutachten, das im Parallelverfahren um das Aufenthaltsbestimmungsrecht eingeholt worden sei, habe der Vater gegenüber der Mutter die Bindung der Kinder an den anderen Elternteil weniger respektiert. Der Vater würde darüber hinaus die Kinder in den Elternkonflikt hineinziehen und sie einem verstärkten Loyalitätsdruck aussetzen. Er habe auch erzieherische Defizite bei der Vermittlung von Regeln und Grenzen. Außerdem lasse er es an der notwendigen Loyalität gegenüber der Mutter der Kinder fehlen.
Kontext der Entscheidung
Die vorliegende Entscheidung ist im Zusammenhang mit der am selben Tag veröffentlichten Entscheidung zum Aktenzeichen XII ZB 511/18 zu lesen. Sie betrifft das Ausgangsverfahren vor dem Familiengericht, in dem der Vater nach alter Rechtslage das Wechselmodell im Rahmen der Abänderung des Aufenthaltsbestimmungsrechts der Mutter beantragt hatte. Durch das eingeholte Gutachten, auf das sich der BGH auch in der vorliegenden Entscheidung bezieht, verzögerte sich das Ausgangsverfahren und wurde durch die Grundsatzentscheidung des BGH vom 01.02.2017 eigentlich gegenstandslos. Es wurde letztlich weiter betrieben, weil dort die Begutachtung stattfand.
Aufenthaltsrecht hat keinen Einfluss auf das Wechselmodell
Der BGH betont in der vorliegenden Entscheidung, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Mutter keinen Einfluss auf das Wechselmodell hat und daher bestehen bleiben kann. Erstmalig stützt der BGH seine Ablehnung des Wechselmodells auf mangelnde Bindungstoleranz und Loyalität gegenüber dem betreuenden Elternteil. Bislang trat die Bindungstoleranz gegenüber den fünf klassischen Kriterien Bindungen des Kindes, Kontinuität, Erziehungseignung, Förderungsprinzip und Kindeswille in den Hintergrund. Nur wenige Gerichte stützten in den vergangenen 26 Jahren ihre Entscheidung auf die mangelnde Bindungstoleranz eines Elternteils (vgl. Maes, jurisPR-FamR 15/2019 Anm. 6 m.w.N.).
Der BGH wendet weiterhin überholte Kriterien auf das Wechselmodell an
Im Übrigen wiederholt der BGH die aus hiesiger Sicht überholten und falschen Argumente, wonach Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft sowie eine tragfähige soziale Beziehung zwischen Eltern bestehen müssten. Schließlich stelle ein paritätisches Wechselmodell erhöhte Anforderungen an die Eltern und erfordere zusätzliche Abstimmung. Außerdem führe illoyales Verhalten gegenüber dem anderen Elternteil dazu, dass die Kinder in seiner Umgangszeit einem erhöhten Loyalitäts- und Koalitionsdruck ausgesetzt seien (vgl. BGH, Beschl. v. 01.02.2017 – XII ZB 601/15 Rn. 31, OLG Brandenburg, Beschl. v. 31.05.2019 – 13 UF 170/18 mit Anm. Maes, jurisPR-FamR 2/2020 Anm. 4, OLG Bremen, Beschl. v. 20.08.2018 – 4 UF 57/18 mit Anm. Maes, jurisPR-FamR 14/2019 Anm. 5, OLG Hamm, Beschl. v. 29.08.2017 – 11 UF 89/17).