Wechselmodell gegen den Willen eines Elternteils – OLG Hamburg 17.12.2015
Immer häufiger ordnen die Familiengerichte das Wechselmodell gegen den Willen eines Elternteils im Umgangsverfahren an, wenn es dem Wohl der Kinder entspricht . Allerdings lehnen das die meisten Gerichte bislang mit dem Argument ab, das Wechselmodell sei gesetzlich nicht geregelt. Die betroffenen Eltern bekommen dann Steine statt Brot.
Anm. Maes zu OLG Hamburg, Beschluss vom 17.12.2015, Az. 2 UF 106/14 in Juris Praxis Report Familien- und Erbrecht 9/2016 vom 26.4.2016
Die gerichtliche Anordnung eines Wechselmodells wurde inzwischen vom BGH bestätigt! BGH, Beschluss vom 2.1.2017, Az. XII ZB 601/15)
Orientierungssatz
Eine hälftige Aufteilung der Betreuungszeiten für das Kind im Sinne eines Wechselmodells ist im Rahmen eines Umgangsverfahrens möglich, sofern dies im Einzelfall die dem Kindeswohl am besten entsprechende Gestaltung der Betreuungszeiten darstellt.
A. Problemstellung
Unter welchen Voraussetzungen kann im Umgangsverfahren ein wöchentlicher Wechsel von einem Elternteil zum anderen angeordnet werden?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Entscheidung des Amtsgerichts
Das Amtsgericht hatte nach einem bereits praktizierten Wechselmodell mit zwei schulpflichtigen Kindern der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen und den Umgang des Vaters reduziert. Dabei war es den Empfehlungen des Jugendamtes, des Verfahrensbeistandes und des Sachverständigen gefolgt mit der Begründung, den beiden Kindern sollten nicht zu viele Wechsel zugemutet werden.
Entscheidung des Oberlandesgerichts
Auf die Beschwerde des Vaters hob das OLG Hamburg den Umgangsbeschluss auf und ordnete das wöchentliche Wechselmodell an. Nach den §§ 1626 Abs. 3 Satz 1, 1684 Abs. 1 1. Halbsatz BGB beruhe das Wohl des Kindes grundsätzlich auf dem Umgang zu beiden Elternteilen und es stehe ihm daher ein förmliches Umgangsrecht mit jedem Elternteil zu. Das Umgangsrecht der Eltern stehe ebenso unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK wie die elterliche Sorge. Allerdings habe der Gesetzgeber keine konkrete Regelung über Art und Umfang des Umgangs getroffen. Daher habe das Gericht eine an den Besonderheiten des Einzelfalls auszurichtende Entscheidung zu treffen, die dem Wohl des Kindes entsprechen müsse.
Weitere Begründung des Oberlandesgerichts
Eine rechtstheoretische Entscheidung über das Für und Wider eines Wechselmodells werde ausdrücklich nicht getroffen. Allerdings könnten Bedenken gegen eine hälftige Aufteilung nicht mit dem Argument begründet werden, für die gesunde Entwicklung eines Kindes sei ein fester Lebensmittelpunkt erforderlich. Ein solcher allgemeiner entwicklungspsychologischer Grundsatz sei nicht gesichert (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 03.06.2004 – 21 UF 144/04; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.11.2013 – 5 UF 27/13 sowie Sünderhauf, FamRB 2013, 327, 333).
Hierfür spräche auch die tatsächliche Entwicklung, wonach ein Umgang über das Wochenende alle 14 Tage mittlerweile gängige Regelung sei, während der Umgang eine Generation früher selbst bei Kindern ab 14 Jahren nur auf wenige Stunden ohne Übernachtungskontakte beschränkt war. Darüber hinaus sei eine paritätische Aufteilung des Umgangs in vielen Ländern mittlerweile gang und gäbe, teilweise der gesetzliche Regelfall.
C. Kontext der Entscheidung
Immer häufiger ordnen die Gerichte das Wechselmodell in Umgangsverfahren an, bislang allerdings nur in solchen Fällen, in denen die Eltern das Wechselmodell mit den Kindern schon eine Zeitlang praktiziert und die Kinder sich für die Beibehaltung des Wechselmodells ausgesprochen hatten (vgl. OLG Schleswig, Beschl. v. 19.12.2013 – 15 UF 55/13; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.11.2013 – 5 UF 27/13; KG Berlin, Beschl. v. 28.02.2012 – 18 UF 184/09; OLG Jena, Beschl. v. 22.08.2011 – 2 UF 295/11; OLG Brandenburg, Beschl. v. 31.03.2010 – 13 UF 41/09).
Zahlreiche Gerichte sprechen sich immer noch dagegen aus, weil das Wechselmodell gesetzlich nicht geregelt sei (aktuell das KG Berlin, Beschl. v. 22.05.2015 – 18 UF 133/14 mit der (neuen) Begründung, es sei jedenfalls bei starken Konflikten nicht gegen den Willen eines Elternteils anzuordnen; weitere Entscheidungen siehe Maes, jurisPR-FamR 16/2014 Anm. 4).
D. Auswirkungen für die Praxis
Derzeit ist die Rechtslage unübersichtlich, da nicht einmal die verschiedenen Senate des gleichen Oberlandesgerichts einer Meinung sind. Leider steht eine gesetzliche Regelung in weiter Ferne. Allerdings sind Anordnungen bislang nur in solchen Fällen erfolgt, in denen das Wechselmodell schon praktiziert worden war. Oft hat die Weigerung eines Elternteils finanzielle Gründe.
Bevor ein Rechtsstreit um das Wechselmodell geführt wird, ist zu überlegen, ob ein von beiden Eltern akzeptierter erweiterter Umgang nicht eine Alternative darstellt.
Dadurch könnte man den Kindern nervenaufreibende Gerichtsverfahren durch zwei Instanzen mit mehreren Gutachten und auch den Dauerkonflikt der Eltern ersparen. Das dürfte dem Wohl der Kinder mehr dienen, als am Ende durch Gerichtsbeschluss über den anderen Elternteil „gesiegt“ zu haben. Mehr noch als die konkrete Betreuungsform dient dem Wohl der Kinder die einvernehmlich Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge und ein durch die Eltern verabredeter und gegenseitig akzeptierter Umgang mit den Kindern. Abgesehen davon führt ein Wechselmodell nach bisheriger Rechtsprechung auch nicht zu einer nennenswerten finanziellen Entlastung des hälftig betreuenden Elternteils, sofern ein großer Einkommensunterschied besteht (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 29.10.2015 – 20 UF 851/15, gegen das Revision eingelegt wurde, AZ des BGH: XII ZB 565/15). Inzwischen