Wechselmodell bei Gerichten unbeliebt
Das Wechselmodell ist nicht nur beim Bundesgerichtshof, sondern auch bei Familien Gerichten und Senaten der für Familienrecht zuständigen Oberlandesgerichte unbeliebt. So soll ein hochstreitiges Elternverhältnis per se gegen das Wechselmodell sprechen. Bei näherer Betrachtung erweist sich diese Auffassung als realitätsfern.
Anmerkung Maes zu OLG Brandenburg, Beschluss vom 31.05.2019, Az. 13 UF 170/18 in jurisPR-FamR 2/2020.
A. Problemstellung
Zwar hat der BGH in seiner Entscheidung vom 01.02.2017 (XII ZB 601/15) die richterliche Anordnung eines Wechselmodells im Umgangsverfahren grundsätzlich erlaubt und sich damit gegen die Mehrheit der Oberlandesgerichte gestellt. Allerdings schuf er derart hohe Hürden, dass in der Praxis kaum ein Gericht ein Wechselmodell gegen den Willen eines Elternteils anordnet. Siehe auch den Beitrag „Paritätisches Wechselmodell“.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Entscheidung des Amtsgerichts
Das Amtsgericht hatte den Antrag eines nicht verheirateten Vaters auf Anordnung eines paritätischen Wechselmodells für ein zehnjähriges Kind zurückgewiesen. Nach dem eingeholten Gutachten steige das Risiko, dass der Elternkonflikt eskaliere. Außerdem würde sich der Loyalitätskonflikt des Kindes verschärfen. Die Bindungen des Kindes an den Antragsteller seien nicht in Gefahr, da Umgang gewährt werde.
Begründung des Oberlandesgericht
Das OLG Brandenburg hat die hiergegen gerichtete Beschwerde zurückgewiesen. Das Wohl des Kindes erlaube eine Anordnung des Wechselmodells nur, wenn Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern bereits als überragend beurteilt werden könnten. Die gleichmäßige Betreuung des Kindes durch beide Eltern bringe einen erheblich gesteigerten Abstimmungsbedarf mit sich. Hinzu komme ein erheblich gesteigertes Konfliktpotential gegenüber der bisher bestehenden Umgangsregelung. Das Kind wäre durch das vermehrte Alltagserleben mit dem Antragsteller dessen Einfluss erheblich stärker ausgesetzt. Dadurch entstünde ein gesteigerter Toleranzbedarf gegenüber Ansichten und Grundsätzen, die kritisch beurteilt oder abgelehnt würden. Weiter erfordere das gleichgewichtige Leben in zwei Haushalten bei einem älter werdenden Schulkind einen gesteigerten Abstimmungsbedarf. Benötigte Gegenstände für den Schulunterricht und die Freizeitgestaltung seien doppelt vorzuhalten bzw. stets zur richtigen Zeit in den jeweils anderen Haushalt mitzunehmen oder nachzubringen. Schul- und Freizeittermine seien vom jeweils anderen Elternteil auch in seiner Woche einzuhalten, was eine Terminabstimmung erforderlich mache.
C. Kontext der Entscheidung
Ablehnung des Wechselmodells per se
Das OLG Brandenburg hält die Entscheidung des BGH vom 01.02.2017 (XII ZB 601/15) lediglich für „vertretbar“. Schließlich sei das Wechselmodell nicht gesetzlich geregelt und sei deshalb weder als Regel noch als gleichgewichtige Variante einer hoheitlichen Anordnung anzusehen. Die vom BGH formulierten äußerst strengen und schwer zu erfüllenden Anforderungen seien insoweit ein geeignetes Korrektiv. Der Senat hält also schon aus grundsätzlichen Erwägungen nichts von der Anordnung eines Wechselmodells. Allerdings übersieht er, dass auch das Residenzmodell gesetzlich nicht geregelt ist. Deshalb erschließt sich nicht, weshalb der Umgang im Rahmen eines Wechselmodells anders als beim herkömmlichen Residenzmodell zu beurteilen sein soll.
Anordnung eines Wechselmodells trotz fehlender Elternkooperation
Schon seit längerem lässt sich eine derart rigide Haltung in der Praxis nicht aufrechterhalten. Daher gibt es seit Jahren immer wieder Gerichte, die trotz fehlender Elternkooperation ein Wechselmodell anordnen (zuletzt OLG Bamberg, Beschl. v. 01.03.2019 – 7 UF 226/18 Rn. 42 und KG, Beschl. v. 30.04.2018 – 19 UF 71/17 Rn. 37). Zwar wurde in diesen Fällen das Wechselmodell schon praktiziert und ein Elternteil wollte gegen den Willen der Kinder davon abweichen. Allerdings zeigen diese Entscheidungen, dass die betroffenen Kinder offenbar trotz mangelnder Kooperation ihrer Eltern Gefallen am Wechselmodell gefunden haben.
Im Umkehrschluss bedeutet das, dass grundsätzlich auch in Fällen, in denen die Eltern noch kein Wechselmodell praktizieren, alle vom OLG Brandenburg genannten Prüfungskriterien nebeneinander und nicht restriktiv anzuwenden sind, um das Kindeswohl zu ermitteln. Dabei ist zu beachten, dass die Vorgaben des BGH keine Tatbestandsvoraussetzungen des Wechselmodells darstellen (vgl. KG, Beschl. v. 30.04.2018 – 19 UF 71/17 Rn. 24). Folglich kann eine mangelnde Kooperation der Eltern auch nicht per se gegen ein Wechselmodell sprechen.
D. Auswirkungen für die Praxis
Wechselmodell bei Gerichten unbeliebt – sie lassen es an überholten Kriterien scheitern
In der Diskussion darüber, ob und wann ein Wechselmodell angeordnet werden darf, gerät aus dem Blick, dass überholte Kriterien aus der Rechtsprechung der 80iger Jahre zum gemeinsamen Sorgerecht auf das Wechselmodell übertragen wurden (vgl. Maes, jurisPR-FamR 14/2019 Anm. 5). Früher wurde die Alleinsorge eines Elternteils angeordnet, wenn keine Kooperation der Eltern gegeben war. Davon sind heute die meisten Gerichte abgerückt, zumal der Gesetzgeber durch Schaffung des § 1626a BGB im Jahr 2013 die gemeinsame elterliche Sorge zum gesetzlichen Leitmotiv erklärte.
Wechselmodell ohne Elternkooperation bei Gerichten unbeliebt
Wenn also die Elternkooperation im Sorgerecht nicht mehr die erste Geige spielt, gibt es erst recht keinen Grund, eine Umgangsregelung, und nichts weiter ist das Wechselmodell, damit zu belasten. Nach einer Studie des Familienministeriums vom 11.07.2017 praktizieren bereits 15% der Trennungseltern ein paritätisches Wechselmodell. 51% wollen ihre Kinder paritätisch betreuen. Sie sind auf zugewandte, das Kindeswohl und nicht den Elternstreit in den Fokus stellende Gerichte angewiesen.
Entlastung der Kinder im Wechselmodell
Leider verschließen sich die meisten Richter vor der schlichten Erkenntnis, dass ein im Wochenwechsel praktiziertes Betreuungsmodell nur halb so viele Wechsel mit sich bringt, wie ein Residenzmodell mit einem Umgangswochenende alle zwei Wochen und einer weiteren Übernachtung in der Woche dazwischen. Dort gibt es also doppelt so viele Möglichkeiten, Schulsachen zu vergessen etc. Viele Richter ignorieren beharrlich, dass beim Residenzmodell in gleicher Weise die verschiedenen Erziehungsstile der Eltern aufeinanderprallen können und geeignet sind, den Loyalitätskonflikt des Kindes zu verstärken. Folglich ist es ein weitverbreitetes Vorurteil, ein Wechselmodell bei hochstreitigen Eltern sei gegenüber dem Residenzmodell per se die schlechtere Betreuungsform.
Höhere Lebensqualität für Kinder im Wechselmodell
Daher ist bei der Kindeswohlprüfung stärker zu beachten, dass Kinder beim Wechselmodell zu beiden Eltern gleich viel Kontakt haben dürfen, ohne sich positionieren zu müssen. Das allein führt schon zu einer erheblicher Entlastung für die Kinder, was auch durch internationale Studien belegt ist, die den wechselseitig betreuten Kindern eine bessere Lebensqualität bescheinigen (vgl. Dokumentation zur Fachtagung Wechselmodell der evangelischen Konferenz für Familien- und Lebensberatung e.V. vom 07.12.2015, dort die Seiten 13, 17-19). Jedenfalls könnte eine ganze Reihe von Kindern durch eine beherzte Anordnung des Wechselmodells Entlastung erfahren, die man ihnen nicht vorenthalten sollte, schon gar nicht aus dogmatischen Gründen.
Hier noch die Leitsätze der Entscheidung
- Es spricht viel dafür, die vom BGH formulierten äußerst strengen, schwer zu erfüllenden Anforderungen an die Anordnung des Wechselmodells für ein geeignetes Korrektiv gegenüber den Bedenken zu halten, das im Gesetz in Tatbestand und Rechtsfolge nicht ausgeführte Betreuungsmodell dürfe aus diesem Grunde weder zur Regel noch zur gleichgewichtigen Variante hoheitlicher Anordnungen werden.
- Die Anordnung des Wechselmodells setzt eine positive Feststellung über das Vorliegen der vom BGH formulierten Anforderungen voraus, nicht allein die negative Feststellung, eine Verschlechterung der Lage des Kindes können ausgeschlossen werden.
- Die Hürde zur Anordnung des Wechselmodells ist beträchtlich höher als diejenige zur Regelung oder auch zur zwangsweisen Durchsetzung einer anderen Umgangsregelung. Wird Umgang bei überwiegender Betreuung des Kindes in einem Elternhaushalt gewährt, so ist das darauf gerichtete Grundbedürfnis und Recht des Kindes bereits erfüllt. Die Anordnung des Wechselmodells hängt von darüber hinausgehenden Anforderungen ab.
- Die Prognose, das Verhalten der Eltern oder eines Elternteils könnte sich bessern, nachdem das Wechselmodell angeordnet worden ist, ist zu unsicher. Die Anordnung des Wechselmodells ist grundsätzlich ungeeignet, die im Konflikt befangenen Eltern dadurch zu einem harmonischen Zusammenwirken in der Betreuung und Erziehung des Kindes zu veranlassen.
Fazit: Das Wechselmodell ist bei Gerichten unbeliebt und es wird Zeit, dass sich das ändert.