Umgangsausschluss kann Menschenrechtsverletzung sein
Das Umgangsrecht der Eltern mit ihren Kindern ist nicht nur durch Art. 6 Grundgesetz geschützt, sondern auch durch Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Deshalb kann ein Umgangsausschluss eine Menschenrechtsverletzung sein.
Anm. Maes zu EGMR in Juris Praxisreport Familienrecht vom 28.5.2024
Im vorliegenden Fall bekam ein betroffener Vater Recht vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, nachdem das OLG Frankfurt einen Umgangsausschluss mit seiner Tochter verhängt und das Bundesverfassungsgericht seine Verfassungsbeschwerde erst gar nicht zur Entscheidung angenommen hatte.
Orientierungssatz der EGMR
Hebt das Beschwerdegericht den erstinstanzlichen Beschluss zum Umgang des Vaters mit seinem Kind auf und schließt den Umgang auf der Grundlage der schriftlichen Aufzeichnungen der durch das erstinstanzliche Gericht durchgeführten Anhörung aus, weil das zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Kind geäußert hatte, seinen Vater nicht sehen zu wollen, ist nicht davon auszugehen, dass das Beschwerdegericht seine Entscheidung auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage traf, wenn es weder eine erneute Anhörung des Kindes vorgenommen noch ein Sachverständigengutachten eingeholt hat, obwohl sich die Fachstellen hierfür ausgesprochen hatten und ein Hinweis der Beeinflussung des Kindeswillen durch die Mutter bestand.
Problemstellung
Bei hochstreitigen Elternverhältnissen und nach zahlreichen Kindschaftsverfahren sind die betroffenen Kinder häufig derart belastet, dass sie zum Selbstschutz den Umgang mit einem Elternteil komplett verweigern.
In solchen Fällen vermögen weder Gerichtsbeschlüsse noch Empfehlungen von Fachkräften und Gutachtern etwas an der Situation zu ändern. Die meisten Gerichte scheuen sich, gegen den erklärten Willen dieser Kinder einen Kontakt mit dem abgelehnten Elternteil zu erzwingen.
Zum einen ist die Selbstwirksamkeit des kindlichen Willens zu beachten, zum anderen will niemand die Verantwortung für ein Scheitern des „Experiments“ tragen. Im Hinblick auf Art. 8 MRK stellt der EGMR sehr hohe Anforderungen an die Tatsachenermittlung eines Beschwerdegerichts im Umgangsverfahren. Danach kann ein Umgangsausschluss eine Menschenrechtsverletzung sein.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das OLG Frankfurt hatte für ein zehnjähriges Mädchen einen Umgangsausschluss von acht Monaten mit ihrem Vater verfügt, nachdem es die Eltern, eine Mitarbeiterin des Jugendamtes und die Umgangspflegerin angehört hatte.
Erzwungener Umgang verletzt das Wohl des Kindes
Das Kind sei im Falle eines erzwungenen Umgangs mit dem Vater gefährdet. Deshalb diene ein zeitlich begrenzten Umgangsausschluss seiner Entlastung. Das Kind hatte sich seit mehreren Jahren geweigert, seinen Vater zu sehen. Ein begleiteter Umgang war ebenfalls gescheitert. Zuletzt hatte sich das Kind in zwei Terminen vor dem Familiengericht gegen einen Umgang ausgesprochen.
Das BVerfG hatte die Beschwerde des Vaters nicht zur Entscheidung angenommen, und zwar ohne Begründung. Auf die Rüge des Vaters kam der EGMR zu dem Ergebnis, das Oberlandesgericht habe gegen Art. 8 MRK verstoßen.
Kein Umgangsausschluss ohne Anhörung des Kindes
Das OLG es sei verpflichtet gewesen, das Mädchen anzuhören, zumal das Familiengericht auf der Grundlage der Anhörung des Kindes sogar einen unbegleiteten Umgang angeordnet habe.
Zudem hätten sowohl das Oberlandesgericht als auch das Familiengericht Bedenken dahin geäußert, die Mutter habe das Kind beeinflusst. Deshalb hätte das Oberlandesgericht auf Empfehlungen der Fachkräfte ein psychologisches Sachverständigengutachten einholen müssen.
Im Ergebnis habe das Oberlandesgericht nicht alle verfügbaren Möglichkeiten genutzt, den Umgang wiederherzustellen. Seine Entscheidung beruhe nicht auf der Grundlage hinreichend substanziierter Tatsachen und verstoße damit gegen die Verfahrenserfordernisse, die sich aus Art. 8 MRK ergeben.
Kontext der Entscheidung
Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG kann das durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Umgangsrecht zum Schutz des Kindes eingeschränkt oder ausgeschlossen werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.04.2015 – 1 BvR 3326/14 m.w.N.).
Selbst ein auf Beeinflussung beruhender Wunsch des Kindes kann beachtlich sein, wenn er Ausdruck echter und damit schützenswerte Bindungen sei (vgl. BVerfG, Beschl. v. 02.04.2001 – 1 BvR 212/98).
In jenem Fall hatte das OLG Frankfurt gegen den erklärten Willen der Tochter einen Umgang mit dem Vater beschlossen, weil die Äußerung des Kindes, nicht zum Vater zu wollen, nicht auf deren wirklichem Willen beruhe, sondern auf Suggestionen. Das Kind habe zu ihrem Vater „ein wirklich herzliches Verhältnis“, das auf jeden Fall zu fördern sei. In solchen Fällen kann ein Umgangsausschluss eine Menschenrechtsverletzung sein.
Auswirkungen für die Praxis
Das Umgangsrecht untersteht gemäß Art. 6 GG dem Schutz von Ehe und Familie. Damit ist es eines der am stärksten geschützten Rechte von Kindern und Eltern in Deutschland.
Aber trotz allen Einsatzes der damit befassten Richter und Fachkräfte kann ein Umgang gegen den manifestierten Willen eines Kindes nicht erzwungen werden. Daher ist die vom EGMR gerügte Entscheidung des OLG Frankfurt in keiner Weise zu beanstanden.
Es war nicht zu erwarten, dass eine Anhörung des Mädchens auch nur den geringsten Ansatzpunkt für eine Wiederbelebung des Umgangs ergeben hätte, erst recht nicht durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Denn der Sachverständige kann allenfalls den Zustand beschreiben und fachliche Empfehlungen geben. Und diese laufen in solchen Fällen regelmäßig auf eine behutsame, von Fachleuten begleitete Anbahnung des Umgangs hinaus. Aber das war längst gescheitert.
Die bloße Wiederholung gescheiterter Versuche führt zu einer vermeidbaren Belastung des Kindes. Selbst, wenn man dem EGMR Recht geben wollte, ein Umgangsausschluss kann eine Menschenrechtsverletzung sein,hat er mit seiner Entscheidung keinem geholfen. Denn letztlich haben immer die beteiligten Eltern einen totalen Umgangsabbruch zu verantworten. Der eine hintertreibt den Umgang, der andere zieht vor ein Tribunal. Stattdessen könnte er dem Kind jahrelange Prozesse ersparen, damit es wenigstens bei einem Elternteil entspannt aufwachsen kann. Dazu gehört ein hohes Maß an Vertrauen, dass das Kind von sich aus den Kontakt wieder aufnimmt.
Siehe auch: Umgang: Rechte und Pflichten https://scheidungsanwaelte.berlin/umgang-rechte-und-pflichten/