Rückkehr in die Ehewohnung nach Aussperrung
Die Rückkehr in die Ehewohnung nach Aussperrung kann gerichtlich durchgesetzt werden, wenn verbotene Eigenmacht vorliegt. Anmerkung Maes zu OLG Celle 21. Zivilsenat, Beschluss vom 10.08.2022, Az. 21 WF 87/22 in Juris Praxisreport Familienrecht 23/2022 vom 15.11.2022.
Leitsatz des Gerichts
- Verfahrenskostenhilfe für einen Antrag auf Mitbenutzung der (gemieteten) Ehewohnung kann nicht allein mit der Begründung versagt werden, dass eine unbillige Härte i.S.v. § 1361b Abs. 1 BGB nicht dargelegt wurde. Denn im Gegensatz zur Überlassung der Ehewohnung ist die Rechtsverfolgung auf Einräumung des Mitbesitzes, die auf § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB, auf § 861 BGB sowie auf § 1361b BGB analog gestützt werden kann, gerichtet.
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Der Anspruch auf Einräumung des Mitbesitzes bzw. auf Mitnutzung der Ehewohnung kann im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß §§ 119 Abs. 1, 49 FamFG geltend gemacht werden.
A. Problemstellung
Wie kann ein Ehepartner wieder in den Mitbesitz der Ehewohnung gelangen, wenn er vom anderen ausgesperrt wurde?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Ehemann hatte die Ehewohnung im Zuge der Trennung der Parteien verlassen und hat anschließend ohne Zugriff auf seine persönlichen Sachen in Notunterkünften übernachtet. Eine Rückkehr in die Ehewohnung nach Aussperrung verweigerte ihm die Ehefrau. Die Verfahrenskostenhilfe für seinen Antrag auf Mitbenutzung der Ehewohnung im Wege einstweiliger Anordnung lehnte das Amtsgericht ab. Es handle sich um einen Antrag auf Wohnungszuweisung, für den er die Tatbestandsvoraussetzung der unbilligen Härte nicht dargelegt habe.
Das OLG Celle hat auf die Beschwerde des Ehemannes die Entscheidung aufgehoben und an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts verfolge der Ehemann nicht die alleinige Nutzung oder Mitbenutzung der Ehewohnung im Rahmen des § 1361b BGB. Sein Antrag sei dahin auszulegen, dass er lediglich die Mitbenutzung der Ehewohnung anstrebe, die ihm die Ehefrau nach § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB aus der Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft schulde. Dieser Anspruch bestehe während der intakten Ehe. Das bloße Verlassen der Wohnung führe nicht zum Erlöschen des Mitbesitzes. Denn eine vorübergehende Abwesenheit berühre nicht das Recht auf Mitbesitz (vgl. LG Freiburg (Breisgau), Beschl. v. 26.11.2004 – 13 T 329/04 zum Aufenthalt der Ehefrau im Frauenhaus).
Abgesehen davon könne der Mitbesitz allenfalls dann entfallen, wenn die Ehepartner anlässlich ihrer Trennung eine abweichende Vereinbarung über die künftige Nutzung der Ehewohnung getroffen hätten oder ein Ehegatte aus der Ehewohnung mit dem Willen ausgezogen sei, die eheliche Lebensgemeinschaft nicht wiederherzustellen. Darüber hinaus komme ein Anspruch nach § 861 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn ein Ehegatte den Besitz durch verbotene Eigenmacht des anderen verloren habe. Vor diesem Hintergrund könne dem Begehren des Ehemannes nicht von vornherein eine hinreichende Erfolgsaussicht abgesprochen werden. Die Rückkehr in die Ehewohnung nach Aussperrung kann gerichtlich durchgesetzt werden.
C. Kontext der Entscheidung
In allen Streitigkeiten um die Ehewohnung oder um Haushaltsgegenstände stehen die possessorischen Ansprüche auf Wiedereinräumung des Besitzes, etwa wegen verbotener Eigenmacht gemäß § 861 BGB, in Konkurrenz zur familienrechtlichen Wohnungszuweisung gemäß § 1361b BGB oder zur Verteilung der Haushaltsgegenstände gemäß § 1361a BGB. Wie sich diese Konkurrenz auswirkt, ist umstritten. Der BGH hatte mit Beschluss vom 28.09.2016 (XII ZB 487/15) lediglich entschieden, dass § 1361b BGB während der Trennungszeit die vindikatorischen Ansprüche auf Herausgabe der Ehewohnung an den Eigentümer gemäß § 985 BGB verdrängt. Inwieweit das auch wegen possessorischer Ansprüche gelten soll, ist weiterhin umstritten.
Nach einer Meinung gelten sie neben den familienrechtlichen Ansprüchen (vgl. etwa OLG Koblenz, Beschl. v. 29.05.2009 – 10 U 1519/08). Nach einer anderen Meinung gehen die familienrechtlichen Vorschriften als lex specialis vor (vgl. etwa OLG Schleswig, Beschl. v. 09.09.1996 – 13 UF 80/96) und nach einer dritten, vermittelnden Meinung (vgl. etwa OLG Frankfurt, Beschl. v. 11.03.2019 – 4 UF 188/18) ist für die Einräumung des Besitzes oder Mitbesitzes § 1361b BGB analog anwendbar, wobei der Regelungsgehalt des possessorischen Besitzschutzes miteinzubeziehen sei. Im Einzelnen und mit weiteren Nachweisen (vgl. Götsche, jurisPR-FamR 23/2019 Anm. 4 zu OLG Frankfurt, Beschl. v. 11.03.2019 – 4 UF 188/18).
D. Auswirkungen für die Praxis
Wenn ein Ehepartner im Zuge der Trennung die Ehewohnung verlässt, verliert er sein Recht auf Wiedereinräumung des Mitbesitzes gemäß § 1353 BGB, wenn er mit dem Willen ausgezogen ist, die eheliche Lebensgemeinschaft nicht wiederherstellen zu wollen. Das nachzuweisen, kann im Einzelfall Probleme bereiten. Daher sollte man den Anspruch nach Möglichkeit auch auf verbotene Eigenmacht gemäß § 861 BGB stützen. Allerdings kann der aussperrende Ehegatte, jedenfalls wenn Kinder vorhanden sind, mit einem Antrag nach § 1361b BGB kontern und die Zuweisung der gesamten Ehewohnung an sich beantragen (vgl. KG, Beschl. v. 06.12.2019 – 16 UF 110/19 mit Anm. Billhardt, jurisPR-FamR 18/2020 Anm. 4).
Nach Ablauf von sechs Monaten wird gemäß 1361b Abs. 4 BGB vermutet, dass der Ausgezogene dem anderen das Wohnrecht an der Ehewohnung überlassen hat. Das dürfte auch Auswirkungen auf Ansprüche nach den §§ 1353, 861 BGB haben. Das Recht zum Mitbesitz an der Ehewohnung kann im Wege einstweiliger Anordnung gemäß den §§ 119 Abs. 1, 49 FamFG geltend gemacht werden und ist als sonstige Familiensache i.S.v. § 266 FamFG bzw. als Familienstreitsache gemäß § 113 Abs. 1 FamFG zu betrachten. Es gilt die Dispositionsmaxime der ZPO. Eine Beschwerde ist nicht möglich (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 21.02.2005 – 2 WF 22/05). Anders verhält es sich, wenn das Verfahren als Ehewohnungssache behandelt wird, wie etwa durch das OLG Frankfurt (Beschl. v. 11.03.2019 – 4 UF 188/18). Es gilt dann das Amtsermittlungsprinzip, es gibt keinen Anwaltszwang und es ist die Beschwerde gemäß § 57 Satz 2 Nr. 5 FamFG möglich.
Da man bei Besitzstörungen rasch handeln muss, empfiehlt sich das Vorgehen nach § 861 BGB. Nach der zutreffenden Begründung des OLG Koblenz im Beschluss vom 29.05.2009, Az. 10 U 1519/08M, hat der Ehegatte, dessen Mitbesitz von dem anderen durch verbotene Eigenmacht entzogen wurde, ein berechtigtes Interesse auf schnellen Besitzschutz, ohne dass er seinerseits die Initiative für die Einleitung des kompliziert ausgestalteten Hausratsverfahrens ergreifen muss. Gleiches sollte auch für den Schutz des Mitbesitzes an der Ehewohnung gelten.