Richterablehnung bei verweigerter Terminverlegung
Mandanten sind gerade in Familiensachen auf den Beistand ihres Rechtsanwalts angewiesen. Wenn Richter das nicht respektieren, ist eine Richterablehnung bei verweigerter Terminverlegung die einzige Möglichkeit, den Mandanten zu helfen. Anmerkung Maes zu OLG Brandenburg, Beschluss vom 9.7.2019, Az. 13 WF 146/19 in jurisPR-FamR 24/2020 vom 1.12.2020.
Leitsätze des Gerichts
- Die Besorgnis der Befangenheit wird nicht durch die Sorge vor Willkür begründet. Das Ablehnungsgesuch ist ein spezifischer, auf einen bestimmten Zweck bezogener Rechtsbehelf. Einem Fehlverhalten des Richters, das sich nicht in pflichtwidriger Voreingenommenheit auswirkt, ist mit einem Ablehnungsgesuch nicht zu begegnen.
- Fehlverhalten und andere Missstände, die das gesamte Verfahren belasten und damit beiden Beteiligten in gleicher oder ähnlicher Weise unzumutbar erscheinen müssen, begründen nicht Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters.
A. Problemstellung
Kann die Ablehnung eines Antrags auf Terminverlegung die Besorgnis der Befangenheit begründen? Bei der Auslegung des § 42 ZPO sind die Verfassungsgrundsätze rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG und das Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 GG zu beachten.
In diesem Zusammenhang geht es auch um die Frage, inwieweit der Anwendungsbereich des § 42 ZPO eingegrenzt werden darf, um ausufernden Befangenheitsgesuchen entgegenzuwirken und einen reibungslosen Gerichtsbetrieb zu gewährleisten. Siehe auch die Beiträge Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit und Dienstliche Stellungnahme bei Richterablehnung.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Keine Besorgnis der Befangenheit laut OLG
Das OLG Brandenburg hat die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts zurückgewiesen. Das Ablehnungsgesuch der Antragsgegnerin gegenüber dem Richter am Amtsgericht sei unbegründet. Denn die Besorgnis der Befangenheit sei nicht gerechtfertigt.
Willkür kein Grund für Befangenheit
Anordnungen zur Verfahrensleitung könnten nur die Befangenheitssorge begründen, wenn ein Beteiligter den Anschein gewänne, der Richter übergehe sein Anliegen oder lehne es mit einer derart unhaltbaren Begründung ab, dass auf eine geradezu rechtsfeindliche Gesinnung gegenüber einem Beteiligten geschlossen werden könne. Allein die Sorge vor Willkür eines Richters führe nicht zur Besorgnis der Befangenheit (zu weitgehend BayObLG, Beschl. v. 09.02.1998 – 1Z BR 10/98). Hinzu kommen müsse das Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters. Deshalb seien richterliches Fehlverhalten oder andere Missstände im Verfahren, die beide Parteien in gleicher Weise belasten, nicht geeignet, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu begründen.
Nachteile sind in Kauf zu nehmen
Außerdem habe die Antragsgegnerin nicht näher erläutert, inwieweit die angegriffene Verfügung des Richters den Wertungsrahmen des irgendwie Vertretbaren verlassen oder den Anschein der Voreingenommenheit erweckt hätte. Dass eine richterliche Entscheidung einem Beteiligten Nachteile bereiten und die von ihm betriebene Rechtsverfolgung hemmen könne, sei von ihm als selbstverständliche Folge eines Gerichtsverfahren hinzunehmen. Außerdem habe der abgelehnte Richter das Interesse der Antragsgegnerin, von ihrem Rechtsanwalt vertreten zu werden, ganz offensichtlich zur Kenntnis genommen und erwogen. Denn er habe wegen des nach seiner Ansicht vordringlichen Beschleunigungsgrundsatzes des § 155 FamFG darauf hingewiesen, dass sich die Antragsgegnerin durch einen anderen Rechtsanwalt vertreten lassen könne. Deshalb sei eine Benachteiligung nicht erkennbar.
C. Kontext der Entscheidung
Rechtliches Gehör verletzt bei abgelehnter Terminverlegung
Die Sozialgerichtsbarkeit sieht in der Übergehung eines Antrags auf Terminverlegung in der Regel eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Erhebliche Gründe i.S.d. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO sind nur solche Umstände, die zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebotes erfordern (vgl. BSG, Beschl. v. 30.09.2015 – B 3 KR 23/15 B Rn. 8).
Anwalt muss mit der Sache vertraut sein
Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs in einer mündlichen Verhandlung umfasst auch das Recht auf Verlegung eines anberaumten Termins, wenn dies aus erheblichen Gründen geboten ist. Siehe BSG, Beschl. v. 10.10.2017 – B 12 KR 64/17 B Rn. 8. Ein erheblicher Grund für die Aufhebung eines Termins liegt vor, wenn sich ein Rechtsanwalt aufgrund der Kurzfristigkeit seiner Beauftragung für den Termin zur mündlichen Verhandlung nicht hinreichend mit dem Sachverhalt vertraut machen kann (vgl. BSG, Beschl. v. 08.03.2017 – B 8 SO 62/16 B, erster Orientierungssatz).
OLG Brandenburg verletzt gesetzliche Vorgaben
Die vorliegende Entscheidung verstößt gegen diese Grundsätze. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts gehört die Verletzung des rechtlichen Gehörs gerade nicht zu den Nachteilen einer richterlichen Verfügung, mit der sich die Beteiligten abzufinden haben. Außerdem ist einem Beteiligten nicht zuzumuten, sich von einem Richter vorschreiben zu lassen, welchen Rechtsanwalt er beauftragt.
OLG Dresden sieht Befangenheit, wenn der Richter den Termin nicht verlegt
Folgerichtig hat das OLG Dresden ein Ablehnungsgesuch für berechtigt gehalten, wenn erhebliche Gründe für die Terminverlegung gemäß § 227 Abs. 1 ZPO vorliegen und die Zurückweisung des Antrags das Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzt oder sich der Eindruck einer sachwidrigen Benachteiligung eines Beteiligten aufdrängt (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 22.11.2016 – 18 WF 985/16 Rn. 16, 17). In jenem Fall hatte das Gericht sogar die geplante Urlaubsreise eines Verfahrensbevollmächtigten als zwingenden Grund für die Terminverlegung angesehen und höher eingestuft als das Beschleunigungsgebot des § 155 FamFG. Denn dem Anliegen eines Beteiligten, von dem bereits eingearbeiteten Anwalt seines Vertrauens vertreten zu werden, sei Rechnung zu tragen.
D. Auswirkungen für die Praxis
Anwälte und Mandanten sind auf Terminverlegung angewiesen
Anwälte und deren Mandanten sind bei Terminüberschneidungen oder im Urlaubsfalle darauf angewiesen, dass ein Gerichtstermin verlegt wird. Denn der von der Verfassung geschützte Anspruch auf rechtliches Gehör beinhaltet die Vertretung durch den Anwalt seines Vertrauens. Diesen Vorgaben wird die vorliegende Entscheidung nicht gerecht. Sie geht sogar so weit, eine Richterablehnung nicht einmal bei willkürlichem und unangemessenem Verhalten eines Richters zuzulassen, solange es sich auch gegen die andere Partei richtet.
OLG Brandenburg höhlt gesetzlich eingeräumte Richterablehnung aus
Im Ergebnis hebt das OLG Brandenburg durch eine derart enge Auslegung den von § 42 ZPO bezweckten Schutz einer Prozesspartei de facto auf. Trotzdem sollten betroffene Rechtsanwälte weiterhin die Interessen ihrer Mandanten mit der Richterablehnung verfolgen, wenn die Besorgnis besteht, dass ein Gerichtsverfahren unfair oder willkürlich verläuft. Da die Amtsgerichte Ablehnungsgesuche regelmäßig zurückweisen, sollte die Sache endgültig vor dem Oberlandesgericht geklärt werden.
Richterablehnung auch in Zweifelsfällen zulassen
Betroffenen Richtern sei die Empfehlung ihres verstorbenen Kollegen Hans Putzo, ehemaliger Richter am BayObLG (in: Thomas/Putzo, ZPO, § 42 Rn. 9) ans Herz gelegt: „Andererseits sollte im Zweifel einem Ablehnungsgesuch stattgegeben werden, um auch im Einzelfall das Vertrauen in die Rechtspflege zu erhalten oder um den abgelehnten Richter einer persönlichen Kritik des Antragstellers zu entziehen, selbst, wenn sie unberechtigt ist. Dies wird aus missverstandener Kollegialität von Richtern oft zu wenig beachtet.“
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
In der vorliegenden Entscheidung übergeht das OLG Brandenburg, dass es sich um ein gerichtliches Vermittlungsgespräch der Beteiligten nach § 165 FamFG handelte, das gerade nicht mit einer Entscheidung endet. Deshalb war die Berufung des Amtsrichters auf das Beschleunigungsgebot unsachgemäß. Stattdessen wäre es der Sache förderlich gewesen, den langjährigen Anwälten der Parteien die Teilnahme am Termin zu ermöglichen, um ein nachhaltiges Vermittlungsergebnis zu erzielen. Letztlich hat die abgelehnte Terminverschiebung dazu geführt, dass eine Vermittlung nicht zustande kam und der Streit weiter eskalierte.