Rechtsanwaltsgebühren bei wieder aufgenommenem Versorgungsausgleich
Anmerkung Maes zu OLG Oldenburg, Beschluss vom 13.01.2011 – 13 WF 166/10 in Juris Praxisreport für Familien-und Erbrecht 5/2011 vom 8.3.2011
Leitsatz
Die anwaltliche Vertretung in einer ausgesetzten und wieder aufgenommenen Folgesache Versorgungsausgleich stellt auch dann keine neue Angelegenheit nach § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG dar, wenn zwei Kalenderjahre seit dem Erlass des Scheidungsurteils und der Aussetzung der Entscheidung über den Versorgungsausgleich vergangen sind (Bestätigung von KG, Beschl. v. 28.10.2010 – 19 WF 174/10).
A. Problemstellung
Löst ein wieder aufgenommener Versorgungsausgleich nach rechtskräftiger Scheidung neue Rechtsanwaltsgebühren aus?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das Familiengericht hatte die Ehe im Juli 2005 rechtskräftig geschieden. Der Versorgungsausgleich war gemäß § 2 VAÜG ausgesetzt worden. Dem beigeordneten Rechtsanwalt wurden seine Gebühren für seine Tätigkeit im Scheidungs- und Versorgungsausgleichsverfahren von der Landeskasse ausgezahlt. Mit Verfügung vom 15.07.2010 wurde das Verfahren nach neuem Recht wieder aufgenommen und nach Einholung neuer Auskünfte von den Versorgungsträgern durch Beschluss vom 18.10.2010 über den Versorgungsausgleich entschieden. Trotz erneuter Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe lehnte das Familiengericht die Festsetzung der Gebühren des beigeordneten Rechtsanwalts ab.
Das dagegen eingelegte Rechtsmittel wurde vom OLG Oldenburg abschlägig beschieden. Das Familiengericht habe die beantragte Vergütungsfestsetzung zu Recht abgelehnt, weil die Tätigkeit im Versorgungsausgleichsverfahren gemäß § 15 Abs. 1, 2 und 5 RVG durch die im Jahr 2005 gezahlte Vergütung abgegolten sei. Es habe sich um dieselbe Sache gehandelt, was gemäß § 21 Abs. 3 RVG auch dann gelte, wenn die Folgesache als selbstständige Familiensache fortgeführt werde. Es gelte auch nicht die Vorschrift des § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG, wonach die weitere Tätigkeit als neue Angelegenheit anzusehen sei, wenn der frühere Auftrag seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt sei. Es fehle bereits an einem neuen Auftrag des Auftraggebers. Hierzu sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass zwischenzeitlich das Mandat niedergelegt oder der Auftrag gekündigt wurde.
Das Verfahren sei auch nicht seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt, auch wenn vier Kalenderjahre vergangen seien. Das Ruhen des Verfahrens in diesem Zeitraum habe dazu geführt, dass der Auftrag noch nicht erledigt sei, weil über den Versorgungsausgleich noch nicht entschieden worden sei. Die Aussetzung des Verfahrens habe nicht zur Erledigung geführt, da der Rechtsanwalt mit dessen Fortführung rechnen müsse und die Angelegenheit nicht ohne weiteres ablegen dürfe (vgl. BGH, Beschl. v. 11.08.2010 – XII ZB 60/08 Rn. 29).
Entgegen einer in der obergerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum verbreiteten Auffassung sei die Erledigung i.S.d. § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG auch nicht deshalb anzunehmen, weil die Vergütung gemäß § 8 Abs. 1 RVG fällig gewesen sei. Nach dem Wortlaut der Vorschrift sah der Gesetzgeber das Ruhen des Verfahrens über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten gerade nicht als Erledigung des Auftrags, sondern stellte das Ruhen des Verfahrens lediglich bezüglich der Fälligkeit der Erledigung gleich. Aus dem Regelungszweck des § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG ergebe sich keine andere Beurteilung. Danach solle honoriert werden, dass sich der Rechtsanwalt nach mehr als zwei Kalenderjahren neu einarbeiten müsse (BT-Drs. 12/6962, S. 102; BT-Drs. 15/1971, S. 190). Eine Beendigung des Auftrags ergebe sich damit nicht und habe der Gesetzgeber auch nicht regeln wollen (BGH, Beschl. v. 30.03.2006 – VII ZB 69/05; KG, Beschl. v. 28.10.2010 – 19 WF 174/10 Rn. 5).
C. Kontext der Entscheidung
Die Neuregelung des Versorgungsausgleichs seit dem 01.09.2009 bringt unter anderem mit sich, dass gemäß § 50 Abs. 1 Ziff. 2 VersAusglG ein ausgesetztes Verfahren nach § 2 Abs. 1 Satz 2 VAÜG spätestens bis zum 01.09.2014 wieder aufgenommen werden soll. Es handelt sich dabei vor allem um solche Verfahren, bei denen der Ausgleich wegen wechselseitig erworbener West- und Ostanwartschaften nicht möglich war. Inzwischen häufen sich vor allem in den neuen Bundesländern die Fälle, in denen die Verfahren neu aufgerollt werden müssen. In diesem Zusammenhang sehen sich die Justizkassen einer Kostenlawine ausgesetzt, da für viele der wieder aufgenommenen Verfahren Verfahrenskostenhilfe in Anspruch genommen wird. Dieses Problem löst ein Teil der Rechtsprechung mit dem Argument, bei den wieder aufgenommenen Verfahren handele es sich nicht um neue, selbstständige Familiensachen gemäß Art. 111 Abs. 4 Satz 2 FGG-RG bzw. um keine neuen gebührenrechtlichen Angelegenheiten gemäß § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG (vgl. KG, Beschl. v. 28.10.2010 – 19 WF 174/10; OLG Rostock, Beschl. v. 14.07.2010 – 10 UF 72/10; OLG Brandenburg, Beschl. v. 12.05.2010 – 15 WF 125/10; OLG Celle, Beschl. v. 16.09.2010 – 12 WF 102/10; OLG Braunschweig, Beschl. v. 16.03.2010 – 3 WF 23/10). Demgegenüber wird die Auffassung vertreten, der wieder aufgenommene Versorgungsausgleich sei als selbstständiges Verfahren nach dem neuem Recht des FamFG zu betrachten mit der Konsequenz, dass der Rechtsanwaltszwang entfalle und die bereits bewilligte Prozesskostenhilfe nicht fortgelte, sondern als Verfahrenskostenhilfe nach den Vorschriften des FamFG neu beantragt werden müsse (vgl. OLG Naumburg, Beschl. v. 04.03.2010 – 8 WF 33/10; OLG Dresden, Beschl. v. 15.09.2010 – 20 WF 785/10; OLG Hamburg, Beschl. v. 18.05.2010 – 10 WF 50/10).
Den einzelnen Entscheidungen liegen unterschiedliche Fragestellungen zugrunde, die aber alle darauf hinauslaufen, ob der wieder aufgenommene Versorgungsausgleich als neues Verfahren gemäß Art. 111 Abs. 4 Satz 2 FGG-RG oder als Fortsetzung des ruhenden Verfahrens zu betrachten ist. Soweit ein wieder aufgenommener Versorgungsausgleich unter Berufung auf den Wortlaut des Art. 111 Abs. 4 Satz 2 FGG-RG als selbstständiges Verfahren betrachtet wird, führt das gebührenrechtlich zur Beendigung des Auftrags bzgl. des ruhenden Verfahrens, ohne dass es auf die Auslegung des § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG ankommt. Nach der Gegenmeinung war die Änderung des Charakters des Versorgungsausgleichs von einer Folgesache in eine selbstständige Familiensache nicht gewollt. Ziel sei gewesen, klar zu stellen, dass zwischen den abgetrennten Folgesachen kein Restverbund besteht, sondern sie getrennt zu behandeln sind (vgl. KG, Beschl. v. 06.08.2010 – 18 AR 37/10 Rn. 7 unter Hinweis auf BT-Drs. 16/11903, S. 62). Folgt man mit dem OLG Oldenburg dieser Auffassung, dann ist § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG auszulegen (vgl. KG, a.a.O. und OLG Oldenburg, a.a.O.), wobei Fälligkeit, Erledigung der Sache, Beendigung des Auftrags und die Zweijahresfrist eine Rolle spielen. Wegen des Meinungsstreits haben diverse Oberlandesgerichte die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen. Demgegenüber meint das OLG Celle, eine weitere Beschwerde bzw. Rechtsbeschwerde sei im Hinblick auf § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG nicht zulässig (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 16.09.2010 – 12 WF 102/10 Rn. 29).
D. Auswirkungen für die Praxis
Für die betroffenen Rechtsanwälte ist der Meinungsstreit zur Auslegung des Art. 111 Abs. 4 Satz 2 FGG-RG bzw. des § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG misslich. Die neu aufgerollten Versorgungsausgleichsverfahren sind für sie de facto neue Sachen, die sie auch neu abrechnen können müssen. Zum einen werden komplett neue Auskünfte der Versorgungsträger eingeholt, die sich von den früheren Auskünften deutlich unterscheiden, zum anderen haben sie sich mit einer völlig neuen Rechtssituation auseinanderzusetzen. Sie müssen etwa die Möglichkeiten eines Vergleiches prüfen, der nach neuem Recht erleichtert ist (vgl. §§ 6 ff. VersAusglG) oder, inwieweit ein externer Versorgungsausgleich zulässig ist und bei welchem Zielversorgungsträger diese Anwartschaften zu begründen sind oder ob und inwieweit die wechselseitige Teilung von Rentenanwartschaften bei gleichen Versorgungsträgern zu einem Nachteil führen könnte, weil die durch Teilung hinzuerworbenen Anwartschaften nur für den Eintritt in die Altersrente wirksam sind, nicht dagegen bei vorzeitiger Erwerbsunfähigkeitsrente. Dabei sind sie erheblichen haftungsrechtlichen Risiken ausgesetzt.
Daher sollten sie in den Fällen, in denen Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden war, erneut Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe beantragen und auf diese Weise versuchen, in das neue Recht „hineinzurutschen“. Falls es Schwierigkeiten mit der Bewilligung gibt, sollten sie sich auf den Beschluss des OLG Celle vom 16.09.2010 – 12 WF 102/10 Rn. 15 ff. berufen, und sich auf eine Anrechnung der im Ausgangsverfahren für den Versorgungsausgleich schon erhaltenen, anteiligen (geringfügigen) Gebühren einlassen. In Rn. 18 dieser Entscheidung wird überzeugend dargelegt, warum der Beschluss des BGH vom 11.08.2010, der nach Auffassung des OLG Oldenburg gegen eine neue Gebührenabrechnung spricht, nicht einschlägig ist. In Beschwerdeverfahren sollte unter Hinweis auf die oben zitierte Rechtsprechung darauf gedrungen werden, die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Eine klärende Entscheidung des BGH ist wünschenswert. Er sollte sich entgegen der Auffassung des OLG Celle durch § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG nicht daran gehindert sehen.