Prozesskostenhilfe im Scheidungsverbundverfahren nach Wiederaufnahme
Anm. Maes zu: OLG Jena, Beschluss vom 24.01.2011 – 1 WF 543/10 in jurisPR-FamR 6/2011 vom 22.3.2011
Leitsätze
- Versorgungsausgleichsverfahren, die nach § 2 VAÜG ausgesetzt waren und ab dem 01.09.2009 gemäß § 48 Abs. 2 VersAusglG wieder aufgenommen werden, sind neue selbstständige Familiensachen.
- Ohne Rücksicht auf die in dem Altverfahren bewilligte Prozesskostenhilfe ist in der selbstständigen Familiensache Verfahrenskostenhilfe erneut zu beantragen und zu bescheiden.
A. Problemstellung
Wie ist Art. 111 Abs. 4 Satz 2 FGG-RG in Bezug auf wieder aufgenommene Versorgungsausgleichsverfahren auszulegen?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das AG Heiligenstadt hatte ein im Jahr 2005 abgetrenntes und ausgesetztes Versorgungsausgleichsverfahren nach neuem Recht wieder aufgenommen, die für dieses Verfahren beantragte Verfahrenskostenhilfe allerdings mit der Begründung verweigert, die im ersten Rechtszug bewilligte Prozesskostenhilfe erstrecke sich auch auf das wieder aufgenommene Verfahren. Die damals durchgeführte Abtrennung habe nicht zu einer echten Verfahrenstrennung geführt, sondern nur dazu, dass im Scheidungsverbund zeitlich versetzte Teilentscheidungen zulässig wurden, wobei der Scheidungsverbund erhalten bleibe. Damit sei die damalige Anordnung der Prozesskostenhilfe bestehen geblieben. Die wieder aufgenommenen Verfahren über den Versorgungsausgleich würden gemäß Art. 111 Abs. 4 FGG-RG zwar als selbstständige Familiensachen fortgeführt, hätten damit aber ihren Charakter als Folgesache der Ehescheidung nicht verloren. Das ergäbe sich nach neuem Recht aus § 137 Abs. 5 Satz 1 FamFG, dem die Regelung des Art. 111 Abs. 4 FGG-RG nicht entgegenstehe. Nach dem Sinn der Gesetzesbegründung stelle diese Vorschrift lediglich klar, dass zwischen abgetrennten Folgesachen kein Restverbund bestehe.
Diese Auffassung wird vom OLG Jena nicht geteilt. Zwar werde die Ansicht vertreten, das wieder aufgenommene Verfahren Folgesachen bleiben, sodass der Anwaltszwang fortgelte und es würde dem Wesen des öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleichs widersprechen, wenn das Eventualverhältnis zur Ehescheidung entfiele. Der Gesetzgeber habe mit dieser Vorschrift lediglich den Gleichlauf zu der in § 48 Abs. 2 VersAusglG enthaltenen Übergangsregelung sicherstellen wollen. Die selbstständige Fortführung der abgetrennten Folgesachen solle aber nur erreichen, dass das neue Verfahrensrecht auch dann gelte, wenn die VA-Folgesachen mit anderen Folgesachen aus dem Verbund abgetrennt worden sei. Dann müsse der Restverbund der abgetrennten Folgesache nämlich entfallen, da Art. 111 Abs. 3 FGG-RG für sonstige abgetrennte Folgesachen die Anwendung des neuen Rechts nicht vorsehe.
Demgegenüber schloss sich das OLG Jena der Auffassung des OLG Naumburg im Beschluss vom 04.03.2010 (8 WF 33/10) an. § 48 Abs. 2 VersAusglG werde durch die Bestimmung des Art. 111 Abs. 4 Satz 1 FGG-RG ergänzt, nach der auf VA-Verfahren, die am 01.09.2009 abgetrennt seien, die Vorschriften des FamFG angewendet werden müssten. Die alte Rechtslage, wonach ausgesetzte VA-Verfahren gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 VAÜG i.V.m. § 628 ZPO a.F. weiterhin Folgesachen des Scheidungsverbundes blieben, sei mit Art. 111 Abs. 4 Satz 2 FGG-RG geändert worden. Danach seien alle vom Verbund abgetrennten Folgesachen, wozu auch die hier zu beurteilende Konstellation zähle, als selbstständige Familiensachen fortzuführen (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 15.09.2010 – 20 WF 785/10).
Art 111 FGG-RG Abs. 4 Satz 1 bestimme zunächst, dass das neue Verfahrensrecht auf Verfahren über den Versorgungsausgleich Anwendung finde, die am 01.09.2009 vom Verbund abgetrennt oder danach abgetrennt worden seien. Satz 2 diene der Klarstellung, dass dies auch dann gelte, wenn die VA-Folgesache gemeinsam mit weiteren Folgesachen aus dem Verbund abgetrennt werde. Alle abgetrennten Folgesachen würden als selbstständige Sachen fortgeführt und stünden zueinander nicht im Restverbund (BT-Drs. 16/11903, S. 62). Damit ergebe sich aus Art. 111 Abs. 2 FGG-RG eine echte Verfahrenstrennung kraft Gesetzes, die in ihren Rechtsfolgen § 623 Abs. 2 Satz 4 ZPO a.F. entspreche. Die Entstehung einer selbstständigen Familiensache führe dazu, dass sie ihre Eigenschaft als Folgesache verliere und aus dem Verbund ausscheide (vgl. etwa Philippi in: Zöller, ZPO, 27. Aufl., § 623 ZPO a.F., Rn. 32k, m.w.N.; BT-Drs. 16/11903, S. 62). Damit werde bewusst von § 137 Abs. 5 FamFG abgewichen, wonach abgetrennte Folgesachen nach § 137 Abs. 2 FamFG weiter Folgesachen blieben und der Verbund unter ihnen fortbestehe. Für den Verlust der Eigenschaft als Folgesache sprächen somit Gesetzeswortlaut und -begründung. Das habe zur Konsequenz, dass in den neuen selbstständigen Verfahren auch erneut um Verfahrenskostenhilfe nachgesucht werden müsse, schon weil in diesen Verfahren die Anwaltsgebühren unabhängig von den im früheren Verbund verwirklichten Gebührentatbeständen entstünden (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 15.09.2010 – 20 WF 785/10).
C. Kontext der Entscheidung
Die Auslegung des Art. 111 Abs. 4 Satz 2 FGG-RG entgegen seinem Wortlaut nach der Gesetzesratio wird derzeit vom OLG Celle (Beschl. v. 16.09.2010 – 12 WF 102/10), OLG Rostock (Beschl. v. 14.07.2010 – 10 UF 72/10), OLG Brandenburg (Beschl. v. 12.05.2010 – 15 WF 125/10) und OLG Braunschweig (Beschl. v. 16.03.2010 – 3 WF 23/10) vertreten. Dem scheinen das OLG Oldenburg (Beschl. v. 13.01.2011 – 13 WF 166/10) und das KG Berlin (Beschl. v. 28.10.2010 – 19 WF 174/10 und Beschl. v. 06.08.2010 – 18 AR 37/10) zu folgen, wenn auch ohne Rekurs auf Art. 111 Abs. 4 Satz 2 FGG-RG.
Demgegenüber berufen sich das OLG Dresden (Beschl. v. 15.09.2010 – 20 WF 785/10 und Beschl. v. 07.08.2010 – 24 WF 713/10), das OLG Hamburg (Beschl. v. 18.05.2010 – 10 WF 50/10) und das OLG Naumburg (Beschl. v. 04.03.2010 – 8 WF 33/10) auf den Wortlaut des Art. 111 Abs. 4 Satz 2 FGG-RG. Das AG Vechta (Beschl. v. 03.09.2010 – 12 F 667/09 VA) weist auf die mit Art. 111 Abs. 4 Satz 2 FGG-RG identische Formulierung in § 623 Abs. 2 Satz 3 ZPO a.F. hin. Danach seien Folgesachen nach der Abtrennung als selbstständige Familiensachen fortgeführt worden und es sei unstreitig gewesen, dass die erfolgte Abtrennung zu einer vollkommenen Herauslösung der Folgesache aus dem Verbund führe und auch kostenmäßig als selbstständige Familiensache zu behandeln sei. Es gebe auch keinen Grund, den Verbund zwischen Scheidung und Versorgungsausgleich fortbestehen zu lassen. Er hänge materiell-rechtlich zwar von der Rechtskraft der Ehescheidung ab, das gelte aber auch für den Geschiedenenunterhalt und den Zugewinnausgleich. Trotzdem könnten diese als selbstständige Familiensachen betrieben werden.
D. Auswirkungen für die Praxis
Der Meinungsstreit hat erhebliche Konsequenzen. Bei der wörtlichen Auslegung des Art. 111 Abs. 4 Satz 2 FGG-RG entfällt der Rechtsanwaltszwang; entstehen neue Rechtsanwaltsgebühren, ist erneut Verfahrenskostenhilfe zu beantragen und die Zuständigkeit des Gerichts kann sich ändern. Folgt man der Gegenmeinung, fallen keine neuen Rechtsanwaltsgebühren bei wieder aufgenommenen Verfahren an, für die weiterhin das Ursprungsgericht zuständig ist. Nur das OLG Celle gewährt zusätzliche Gebühren unter Anrechnung der im Ursprungsverfahren auf den Versorgungsausgleich entfallenen Gebührenanteile. Die betroffenen Rechtsanwälte sollten den Meinungsstreit nutzen und konsequent Verfahrenskostenhilfe für wieder aufgenommene Versorgungsausgleichsverfahren beantragen, bzw. neue Gebühren in Rechnung stellen. Schließlich müssen die Auskünfte sämtlicher Versorgungsträger neu eingeholt und geprüft werden, neue Möglichkeiten zum Vergleichsschluss sind eröffnet und neue Haftungsrisiken für den Rechtsanwalt entstanden, unabhängig davon, wie der BGH den Meinungsstreit letztlich entscheidet.