Paritätisches Wechselmodell
Zwar hat der BGH im Beschluss vom 1.2.2017 ein paritätisches Wechselmodell grundsätzlich zugelassen. Allerdings hat er die Voraussetzungen derart hoch angesetzt, dass es gegen den Willen des anderen Elterteils kaum durchzusetzen ist.
Anmerkung Maes zum Beschluss des OLG Bremen vom 20.08.2018 – 4 UF 57/18 in der Zeitschrift Juris Praxisreport Familien- und Erbrecht Ausgabe 14 vom 16.7.2019.
Die Gerichte beharren auf überholten Denkschemata und verlangen weiterhin, dass Eltern kooperieren müssen, um ein Wechselmodell praktizieren zu können. Sie ignorieren, dass ein paritätisches Wechselmodell auch bei paralleler Elternschaft funktioniert, in der jeder auch seine Weise ohne Abstimmung mit dem anderen das Kind betreut. Sie ignorieren, dass dieses Betreuungsmodell in § 1687 BGB sogar gesetzlich abgesichert ist.
Bislang jedenfalls lesen sich die Entscheindungen der Obergerichte wie folgt:
Paritätisches Wechselmodell Leitsätze
- Die gerichtliche Anordnung eines paritätischen Wechselmodells setzt eine bestehende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern voraus.
- Ist das Verhältnis der Eltern erheblich konfliktbelastet, so liegt die auf ein paritätisches Wechselmodell gerichtete Anordnung in der Regel nicht im wohlverstandenen Interesse des Kindes. Das gilt insbesondere dann, wenn die Wohnorte der Eltern weit auseinander liegen (hier mehr als 100 km) und eine verlässliche Planung wegen ständig wechselnder Arbeitszeiten eines Elternteils nicht möglich ist.
A. Problemstellung
Ist es noch zeitgemäß, für die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge und für ein paritätisches Wechselmodell die Kooperationsbereitschaft und eine tragfähige soziale Beziehung der Eltern zu verlangen?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Eltern streiten über den Aufenthalt des Kindes. Der Vater strebt das paritätische Wechselmodell an, die Mutter das Residenzmodell. Nach der Trennung zog die Mutter mit der gemeinsamen Tochter in einen anderen, mehr als 100 km entfernten Ort, wo sie die Tochter seit einem Jahr im Residenzmodell betreut. Das Amtsgericht hatte auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Mutter übertragen.
Das OLG Bremen hat die hiergegen gerichtete Beschwerde des Vaters zurückgewiesen. Die Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil sei angezeigt, weil keine elterliche Kooperation vorhanden sei. Außerdem fehle es an einer tragfähigen sozialen Beziehung der Eltern.
Argumente gegen ein Wechselmodell
Der Mutter sei das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen, weil die Voraussetzungen für die gerichtliche Anordnung eines Wechselmodells beim Vater nicht vorlägen. Auch hier käme es auf die Kooperation der Eltern an (vgl. BGH, Beschl. v. 01.02.2017 – XII ZB 601/15).
Das Pendeln zwischen zwei Haushalten stelle höhere Anforderungen an Eltern und Kind als die herkömmlichen Umgangsmodelle, woraus eine erhöhte Abstimmung der Eltern folge. Hinzu kommen müssen eine gewisse Nähe der elterlichen Haushalte und die Erreichbarkeit von Schule und Betreuungseinrichtungen (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 30).
Eine hohe elterliche Konfliktbelastung entspreche regelmäßig nicht dem Kindeswohl, das durch vermehrte oder ausgedehnte Kontakte mit dem anderen Elternteil verstärkt in den elterlichen Streit hineingezogen werde und durch den von der Eltern oftmals ausgeübten Koalitionsdruck in Loyalitätskonflikte gerate (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 31).
In der Praxis werde die gerichtliche Anordnung eines paritätischen Wechselmodels gegen den Willen eines Elternteils daher nur in wenigen Fällen dem Kindeswohl entsprechen. Im konkreten Fall spreche bereits die räumliche Distanz von mehr als 100 km zwischen den Elternhäusern gegen ein Wechselmodell. Das Kind müsse dann zwei verschiedene Kindergärten besuchen, was eine zusätzliche Belastung für das Kind darstelle.
Darüber hinaus seien sich die Eltern in wesentlichen Erziehungsfragen nicht einig, sodass dahinstehen könne, wie hoch die elterliche Konfliktbelastung sein müsse, um gegen ein Wechselmodell zu sprechen. Außerdem wirke der Vater nicht daran mit, bei der Mutter Misstrauen abzubauen. Die Eltern kommunizierten und kooperierten bei der Gesundheitsfürsorge nur unzureichend.
Gegen die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Mutter spreche auch nicht deren eingeschränkte Bindungstoleranz. Die mangelnde Einsichts- und Reflexionsfähigkeit beim Vater wiege schwerer. Außerdem habe er nicht dargelegt, wie er als Pilot mit wechselnden Arbeitszeiten das Wechselmodell konkret praktizieren wolle. Daher sei davon auszugehen, dass die Mutter das Kind besser fördern könne. Außerdem sei sie laut Gutachten die Hauptbindungsperson des Kindes.
C. Kontext der Entscheidung
Die vorliegende Entscheidung steht im Einklang mit der überwiegenden Rechtsprechung zu den Voraussetzungen für die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge und des paritätischen Wechselmodells.
Verlangt werden die Kooperationsfähigkeit und eine tragfähige soziale Beziehung der Eltern, wobei die Gerichte unterschiedlich hohe Anforderungen stellen (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 29.08.2017 – 11 UF 89/17 Rn. 55, BVerfG, Beschl. v. 22.01.2018 – 1 BvR 2616/17 m. Anm. Götsche, jurisPR-FamR 7/2018 Anm. 4).
Seit fast 40 Jahren halten die Gerichte an diesen Voraussetzungen fest, auch angesichts des Kindschaftsreformgesetzes von 1998 und des Sorgerechts für nichtverheirate Väter seit dem 01.05.2013. Oft unterbleibt die Prüfung, ob die Übertragung der Alleinsorge im konkreten Fall überhaupt zu einer Verbesserung des Kindeswohls führt.
Gerade bei hoch zerstrittenen Eltern ohne Kooperation und tragfähige soziale Beziehung hat das Wohl der Kinder bereits nachhaltigen Schaden genommen und zu einem erheblichen Loyalitätskonflikt geführt. Dort würde die Übertragung der Alleinsorge auf einen Elternteil zu keiner Verbesserung für das Kind führen und wäre dann auch nicht mit Art. 6 GG zu vereinbaren. Vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 17.02.2014 – 13 UF 175/13 mit Bezug auf BVerfG, Beschl. v. 01.03.2004 – 1 BvR 738/01. Siehe Artikel: Gemeinsames Sorgerecht auch bei Zerstrittenheit der Eltern.
D. Auswirkungen für die Praxis
Unter Berücksichtigung der aktuellen gesetzlichen und gesellschaftlichen Situation sind neue Kriterien für die elterliche Sorge und das Wechselmodell zu entwickeln.
Nach dem gesetzlichen Leitbild der gemeinsamen elterlichen Sorge (vgl. BT-Drs. 17/11048, S. 17) hat das Kind trotz zerstrittener Eltern wenigstens zwei sorgerechtsberechtigte Elternteile. Der weitverbreitete Einwand der Rechtsprechung, es gäbe dann häufiger Gerichtsverfahren wegen des Sorgerechts, ist unbegründet.
In der seit dem 01.01.2002 geltenden Fassung des § 1687 BGB trifft der betreuende Elternteil sämtliche Entscheidungen in den Dingen des täglichen Lebens ohne Rücksprache mit dem andern, was gerade gegen den von der Rechtsprechung verlangten hohen Abstimmungsbedarf der Eltern spricht und auch beim Wechselmodell Bedeutung hat.
Eine sog. parallele Elternschaft ist also schon im Gesetz angelegt und wird aktuell von viele Eltern praktiziert, ohne dass das den Kindern schaden würde (vgl. Sünderhauf, FamRB 2013, 290 und Sünderhauf, FamRB 2013, 327).
Eine Abstimmung der Eltern ist auf wenige Ausnahmefälle beschränkt, etwa bei der Schulwahl und bei ernsten ärztlichen Eingriffen. Im Streitfall kann das Gericht ohne großartigen Aufwand einem Elternteil die Entscheidung gemäß § 1628 BGB übertragen.
Nach allem ist der von den Gerichten heraufbeschworene erhöhte Abstimmungsbedarf beim Wechselmodell reine Fiktion. Die Gerichte haben es in der Hand, den Kindern beide Eltern als Sorgeberechtigte zu erhalten. Sie könnten auch häufiger das Wechselmodell anordnen, sei es paritätisch, sei es asymmetrisch, etwa 9:5 oder 8:6 Tage in 14 Tagen.
So könnten sie den betroffenen Kindern den Umgang zu beiden Elternteilen sichern, ohne dass sich die Kinder für einen Elternteil entscheiden müssten. Vor allem würde den Eltern der Schauplatz ihres Konfliktes, ihrer Eitelkeiten und Befindlichkeiten entzogen. Kindschaftsverfahren würden sich rückläufig entwickeln und blieben den wenigen Fällen vorbehalten, in denen eine Gerichtsentscheidung unerlässlich ist.