Nebenjob für Kindesunterhalt – OLG Dresden
Wer nicht genug verdient, muss einen Nebenjob für Kindesunterhalt annehmen.
Anmerkung Maes zu OLG Dresden, Beschluss vom 16.02.2005 – 21 UF 22/05 in Juris Praxisreport Familien- und Erbrecht 21/05 vom 18.10.2005
Leitsätze
- Bei gesteigerter Erwerbsobliegenheit kann selbst neben einer vollschichtigen Berufstätigkeit die Obliegenheit bestehen, an den Wochenenden etwas hinzuzuverdienen, wenn ansonsten der Regelbedarf minderjähriger Kinder nicht gesichert werden kann.
- Der gesteigert Unterhaltspflichtige kann sich dieser Obliegenheit nicht durch Hinweis auf ein arbeitsvertragliches Nebentätigkeitsverbot entziehen, denn der Arbeitgeber ist gehalten, auf schutzwürdige familiäre Belange seines Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.
A. Problemstellung
Das OLG Dresden musste sich mit dem Spannungsverhältnis zwischen gesteigerter Erwerbsobliegenheit zur Sicherstellung des Kindesunterhaltes und einem arbeitsvertraglichen Nebentätigkeitsverbot befassen.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Bestätigt wurde eine Entscheidung des Familiengerichts, das einem 34-jährigen, gesundheitlich nicht beeinträchtigten Getränkeausfahrer neben seiner vollschichtigen Tätigkeit eine Nebenbeschäftigung am Wochenende zugemutet hatte. Seinen Einwand, er sei durch ein arbeitsvertragliches Nebentätigkeitsverbot daran gehindert, hielt das OLG Dresden nicht für stichhaltig:
Schon das Reichsgericht habe im Urteil vom 22.12.1902 (Nr. 278/1902 IV) betont, die sittliche Pflicht der Eltern, ihre Kinder zu erhalten, sei unbeschränkt und finde ihre Grenze allein in der Unmöglichkeit. Darüber hinaus verstoße das arbeitsvertragliche Nebentätigkeitsverbot gegen Art. 12 GG, der das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und Existenzerhaltung konkretisiere. Damit ziele er auf eine möglichst unreglementierte berufliche Betätigung ab.
Daraus folge ein Rechtsanspruch auf Nebentätigkeitsgenehmigung, falls eine Beeinträchtigung der Arbeitsleistung nicht zu erwarten sei. Wie das BAG jüngst entschieden habe (vgl. BAG, Urt. v. 23.09.2004 – 6 AZR 567/03 – DB 2005, 559) dürfe der Arbeitgeber nicht nur eigene Interessen im Auge haben, sondern müsse vor allem auf schutzwürdige familiäre Belange des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen. Daher sei der Arbeitsplatz des Unterhaltsschuldners nicht gefährdet, wenn er seinen Arbeitgeber um Genehmigung einer maßvollen Nebentätigkeit bitte.
C. Kontext der Entscheidung
Das BVerfG hatte durch Beschluss vom 05.03.2003 (1 BvR 752/02 – FamRZ 2003, 661) die vom OLG Hamm verlangte Aufstockung der vollschichtigen Tätigkeit eines gesundheitlich beeinträchtigten Elektrikers, der im Schichtdienst unter Tage arbeitete, als Verstoß gegen Art. 2 GG angesehen (vgl. auch jurisPR-FamR 3/2004 Anm. 1, Wiedenlübbert). Die Frage, ob und wann und in welchem Maße eine Nebenbeschäftigung zumutbar ist, wird in der Literatur kontrovers diskutiert (vgl. dazu OLG Nürnberg, Urt. v. 24.06.2004 – 7 UF 441/04, m.w.N.). Aber auch die Rechtsprechung beurteilt das sehr unterschiedlich.
Nach dem Beschluss des OLG Bamberg vom 12.01.2005 (2 UF 273/04 – FamRZ 2005, 1114) darf eine zumutbare Nebentätigkeit zu einer Gesamtarbeitszeit von nicht mehr als 200 Stunden monatlich führen. Nach dem Beschluss des OLG Naumburg vom 10.06.2004 – 3 WF 86/04 – unter Berufung auf BAG, Urt. v. 26.06.2001 – 9 AZR 343/00 – ist ein generelles Nebentätigkeitsverbot verfassungswidrig, Deshalb dürfe sich ein Unterhaltspflichtiger nicht darauf berufen. Nach dem Beschluss des OLG Hamm vom 08.07.2004 (2 WF 307/04 – FamRZ 2005, 649) ist es einem Unterhaltspflichtigen in der Regel nicht zumutbar, gegen das arbeitsvertragliche Nebentätigkeitsverbot seines Arbeitgebers gerichtlich vorzugehen.
D. Auswirkungen für die Praxis
Wer das unterhaltsberechtigte Kind vertritt, sollte sich an den klaren Vorgaben des OLG Dresden für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit eines Unterhaltsschuldners orientieren. Wer den Unterhaltsschuldner vertritt, sollte ausführlich darlegen, warum im konkreten Fall eine Nebenbeschäftigung unzumutbar ist. Außerdem sollte er darlegen, warum ein Nebentätigkeitsverbot beachtlich ist.
Weiter sind Ausführungen zum Arbeitsverhältnis, zu den konkreten Arbeitsbedingungen, zur täglichen, arbeitsbedingten Abwesenheit von der Wohnung hilfreich. Darüberhinaus spielt auch das Alter und der Gesundheitszustand des Unterhaltsschuldners eine Rolle sowie der praktizierten Kindesumgang (konkrete Umgangstage, Turnus und Dauer des Umgangs).
Siehe auch Kindesunterhalt – Zahlungsverpflichtung trotz fehlenden Einkommens