Kindesunterhalt beim Wechselmodell – BGH soll entscheiden
Die Eltern stritten darüber, ob der Vater mit ca. 2.800,00 Nettoeinkommen der Mutter mit ca. 1.400,00 € Einkommen trotz hälftiger Betreuung der Kinder im Wechselmodell Kindesunterhalt zahlen muss.
Obwohl die Mutter das Kindergeld für beide Kinder bezog, verpflichtete OLG Dresden durch Beschluss vom 29.10.2015, `Az. 20 UF 851/15´ den Vater, monatlichen Kindesunterhalt von ca. 160,00 € pro Kind an die Mutter zu zahlen.
Allerdings ließ das OLG Dresden die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zu, um eine einheitliche Rechtsprechung zu diesem Thema zu fördern. Ohne diesen seltenen Fall einer Revisionszulassung hätte der Vater keine Chance gehabt, die Entscheidung des OLG Dresden vom BGH überprüfen zu lassen. Seine Revision wird dort unter dem Az. XII ZB 565/15
bearbeitet.
Mit Beschluss vom 11.1.2017 hat der BGH inwischen die Fehlentscheidung des OLG Dresden im Wesentlichen bestätigt (vgl. Beitrag BGH – Kindesunterhalt auch beim Wechselmodell bzw. Doppelresidenzmodell).
Unterschiedliche Berechnungsmethoden
Viele Eltern teilen sich das Kindergeld und bestreiten den Unterhaltsbedarf des Kindes jeweils nach ihren Möglichkeiten, ohne dass einer dem anderen Kindesunterhalt zahlt.
Allerdings gibt es auch Fälle, in denen die Eltern um den Kindesunterhalt streiten. Dann entscheidet das Familiengericht.
Die Gerichte orientierten sich bislang an diversen Berechnungsmethoden, die in letzter Zeit von der Rechtsprechung und Fachliteratur entwickelt worden waren. Je nach angewandter Methode muss der Elternteil mit dem höheren Einkommen dem anderen einen mehr oder weniger hohen Ausgleichsbetrag zahlen.
Rechtsunsicherheit bei Betroffenen und Anwälten
Derzeit kann kaum noch abgeschätzt werden, ob und wenn ja welcher Elternteil welchen Anteil am Bedarf des Kindes zu tragen hat und ob daraus Zahlungsansprüche gegenüber dem anderen folgen. Angesichts zahlreicher Rechenschritte ist das ohne ein Berechnungsprogramm in zumutbarer Zeit kaum noch möglich. Hinzu kommen weitere Unwägbarkeiten.
Schließlich ist nicht absehbar, welcher Berechnungsmethode sich das jeweilige Gericht anschließt.
Berechnungsansatz beim Wechselmodell
Beim Volljährigenunterhalt beteiligt sich jeder Elternteil nach seinem Einkommen anteilsmäßig (sogenannten Haftungsquote). Demgegenüber soll beim Wechselmodell die sogenannte Betreuungsleistung der Eltern hälftig Berücksichtigung finden (vgl. Unterhaltsleitlinien Düsseldorf 2015 zu Ziff. 12.3). Weiter soll das Kindergeld, das nur einem Elternteil ausgezahlt wird, angemessen verteilt und am besten mit der Unterhaltsquote verrechnet werden.
Ermittlung des Unterhaltsbedarfs
Der Bedarf des Kindes bestimmt sich nach dem zusammengerechneten Einkommen der Eltern und folgt aus der jeweiligen Gruppe der Düsseldorfer Tabelle. Streitig war, ob das Kindergeld hiervon ganz oder teilweise bedarfsdeckend anzurechnen ist.
Uneinigkeit bei der Kindergeldanrechnung gem. § 1612 b Abs.1 BGB
Das OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.6.2013, Az. 7 UF 45/13
in FamRZ 2014, 567 rechnet das Kindergeld überhaupt nicht auf den Bedarf an, sondern verteilt es vor Berechnung der Quote hälftig unter den Eltern.
Nach einer Meinung in der Fachliteratur ist das Kindergeld nach dem Einkommensverhältnis der Eltern auszugleichen. Danach bekommt der Elternteil mit der höheren Unterhaltsbeteiligung entsprechend den höheren Kindergeldanteil.
Nach einer anderen Meinung, die wohl aufgegeben wurde, ist das Kindergeld in voller Höhe bedarfsdeckend auf den Tabellenunterhalt anzurechnen.
Durchgesetzt hat sich inzwischen die Meinung, das hälftige Kindergeld auf den Tabellenbedarf anzurechnen. Das soll sich angeblich aus dem Gesetzeswortlaut des § 1612 b Ziff. 1 BGB ergeben. allerdings bezieht es sich erkennbar nicht auf das gesetzlich nicht geregelte Wechselmodell, sondern auf das Residenzmodell. Daher ist diese Vorschrift nicht anwendbar.
Ungerechte Berechnungsgrundsätze
Die bisherigen Berechnungsmethoden sind mehr oder weniger ungerecht, ganz abgesehen davon dass sie die Praktizierung des Wechselmodells erschweren und kompliziert machen.
Ungerechte Quotenbildung
Nach § 1606 Abs. 3 BGB bestimmt sich die Unterhaltsquote oder der Haftungsanteil der Eltern nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen.
Im Urteil vom 5.11.1985 legte der BGH diese Vorschrift dahin aus, dass zu Gunsten des einkommensschwächeren Elternteils vor der Quotenberechnung der angemessene Selbstbehalt oder Sockelbetrag von derzeit 1.300,00 € abzuziwhwn ist (Az. IV b ZR 69/84
in FamRZ 1986, 153).
Dadurch verschiebt sich die Unterhaltsquote im Fall des OLG Dresden von 65 % auf 93 % zulasten des einkommensstärkeren Elternteils, obwohl er hälftig an der Betreuung beteiligt ist, ohne dort eine Entlastung zu bekommen. In diesem Fall müsste man dem Vater der Kinder unter finanziellen Gesichtspunkten empfehlen, zum Residenzmodell zurückzukehren, in dem er ohne Betreuungsleistung ca. 100,00 € weniger pro Kind bezahlen würde. Hier wird deutlich, dass es so nicht weitergehen kann, wenn man die Betreuung der Kinder durch den Vater fördern will, wie vom BGH im Urteil vom 1.6.2011, Az. XII ZR 45/09
beim Betreuungsunterhalt vorgegeben.
Trotzdem haben alle Oberlandesgerichte den Vorwegabzug des Sockelbetrages in Ziff. 13.3 ihrer Unterhaltsleitlinien festgeschrieben, ohne diese Praxis weiter zu hinterfragen.
Es ist zwar grundsätzlich zu begrüßen, den einkommensschwächeren Elternteil beim Unterhalt zu entlasten, aber das erfolgt bereits durch die Quote selber. Es gibt keinen Grund, ihn auch noch durch den Vorwegabzug des Sockelbetrages zu bevorzugen.
Ungleichbehandlung von Wechselmodell und Residenzmodell
Aufgrund ihrer verschärften Haftung nach § 1603 Abs.2 BGB müssen die Eltern alles Erdenkliche zu unternehmen, um den Mindestunterhalt bereitzustellen. Folglich haben sie alles, was sie oberhalb ihres Notbedarfs von derzeit 1.080,00 € verdienen, an das Kind weiter zu geben. Falls das nicht reichen sollte, verlangen die Gerichte von Ihnen, eine Nebenbeschäftigung aufzunehmen. Dabei spielt es keine Rolle, wie hoch das Einkommen des betreuenden Elternteils ist. Nur in Grenzfällen, in denen das Einkommen dreimal so hoch ist, soll nach der Rechtsprechung der Barunterhalt entfallen.
Weshalb das beim Wechselmodell anders sein soll, erschließt sich nicht. Hier wird aber die historisch gewachsene Gewohnheit deutlich, an die Väter als typische Hauptverdiener härtere Kriterien anzulegen, als an die Mütter.
Angesichts eines paritätischen Wechselmodells sollten die Beteiligten aber ebenfalls paritätisch, also gleich behandelt werden. Keine der bisherigen Berechnungsmethoden wird dem gerecht.
Ein Paradigmenwechsel ist angezeigt!
Im Grunde sollte jeder Elternteil selber nach seinen Möglichkeiten für den Barbedarf aufkommen. Ausgleichsbeträge wären dann gar nicht mehr zu leisten. Das Kindergeld sollten sich die Eltern teilen.
Um zu gerechten und nachvollziehbaren Ergebnissen zu kommen, sind deutliche Einschnitte in das Geflecht heutiger Berechnungsansätze erforderlich:
- Die künstliche Differenzierung zwischen Natural- und Barunterhalt galt für das Residenzmodell. Deshalb läßt sie sich auf das Wechselmodell nicht übertragen.
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Das Kindergeld ist wie beim Volljährigenunterhalt bedarfsdeckend in voller Höhe abzuziehen und von dem Elternteil, der es bezieht, vollständig für den Unterhalt zu verwenden. Er wird schon dadurch entlastet, dass er den reduzierten Restbedarf mit seiner Quote bestreitet.
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Der Unterhalt bemisst sich mit einer echten Quote des Einkommens ohne den Vorwegabzug des Sockelbetrages. Da die Unterscheidung zwischen Natural- und Barunterhalt wegfällt, gibt es keinen Grund mehr, den Betreuungsanteil bei der Quotenberechnung zu berücksichtigen.
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Wohnkosten sind nicht als Zusatzkosten des Wechselmodells zu berücksichtigen. Vergleichbare Kosten fallen in der Regel auch beim Residenzmodell an, etwa, weil der Umgangsberechtigte zusätzliche Räumlichkeiten für die Kinder bereithält. Außerdem sollte jeder Elternteil selber bestimmen dürfen, ob und in welchem Umfang er weitere Zimmer für die Kinder bereitstellt, ohne dass sich der andere daran beteiligen muss.
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Wenn der notwendige Selbstbehalt des weniger Verdienenden gefährdet ist, greift die gesetzlich vorgesehene Ersatzhaftung des anderen Elternteils gem. § 1607 BGB.
Siehe auch die Beiträge Wechselmodell und Kindesunterhalt und Anordnung des Wechselmodells