Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 120 Abs. 2 FamFG
Anm. Maes zu OLG Brandenburg vom 11.02.2015, Az. 13 UF 250/14 in Juris Praxisreport Familien- und Erbrecht 23/2015 vom 10.11.2015
Die Einstellung der Zwangsvollstreckung soll dem Schuldnerschutz dienen
Wenn man zu unberechtigten Unterhaltszahlungen verurteilt wurde und dagegen Beschwerde einlegt, kann man nach § 120 Abs. 2 FamFG die Einstellung der Zwangsvollstreckung von unberechtigtem Unterhalt beantragen. Das OLG Brandenburg hat die Latte allerdings sehr hoch gehängt. Noch gibt es keine einheitliche Linie in der Rechtsprechung.
Leitsatz
Die Systematik der § 116 Abs. 3, § 120 Abs. 2 FamFG verbietet es, den unwiederbringlichen Verlust einer Unterhaltszahlung, die innerhalb des Zeitraums geleistet wird, für den sie geschuldet wird, als einen nicht zu ersetzenden Nachteil zu beurteilen.
Für die Einstellung der Vollstreckung von Unterhaltsrückständen reicht die Darlegung des endgültigen Verlustes an den nach Verbrauch zur Rückerstattung unfähigen Gläubiger aus, um einen nicht zu ersetzenden Nachteil geltend zu machen.
A. Problemstellung
Mit der Einführung des FamFG wurde in § 120 Abs. 2 FamFG die Einstellung der Zwangsvollstreckung gegenüber den §§ 707, 719 ZPO neu geregelt, wonach nunmehr ohne Sicherheitsleistung einzustellen ist, soweit der Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil glaubhaft macht. Lediglich Keidel-Weber sieht in § 120 Abs. 2 Satz 3 FamFG eine Verweisung auf die Rechtsfolgen der früheren Vollstreckungsvorschriften der ZPO, wonach etwa im Falle der Beschwerde weiterhin die Einstellung gegen Sicherheitsleistung möglich wäre (vgl. Keidel-Weber, 18. Auflage 2014, § 120 FamFG Rn. 18). Das folge daraus, dass in den Fällen der Unterhaltsabänderung nach den § 242 FamFG, § 769 ZPO die Zwangsvollstreckung weiterhin mit oder ohne Sicherheitsleistung eingestellt werden dürfe. Jedenfalls haben die Oberlandesgerichte im Rahmen des § 120 Abs. 2 FamFG bislang keine einheitliche Vorgehensweise gefunden.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Entscheidung des Amtsgerichts
Das Amtsgericht hatte den Antragsgegner verpflichtet, laufenden Mindestunterhalt für zwei Kinder von 544 Euro sowie rückständigen Unterhalt von ca. 6.300 Euro zu zahlen. Die sofortige Wirksamkeit und damit die Vollstreckbarkeit der Entscheidung wurde gem. § 116 Abs. 3 FamFG angeordnet. Mit seiner Beschwerde beantragte der Schuldner, die Vollstreckung vorläufig einzustellen, da ihm ein irreparabler, existenzieller Schaden drohe. Die laufende Vollstreckung führe gegenüber seinem Selbstbehalt zu einer monatlichen Unterdeckung von mehr als 200 Euro monatlich.
OLG Brandenburg lehnt wegen des laufenden Unterhalts die Einstellung der Zwangsvollstreckung ab
Das OLG Brandenburg stellte die Zwangsvollstreckung wegen der Unterhaltsrückstände ein, da insoweit ein nicht zu ersetzender Nachteil i.S.d. § 120 Abs. 2 FamFG glaubhaft gemacht sei. Die laufende Vollstreckung habe der Schuldner aber hinzunehmen. Aus der Systematik der §§ 116 Abs. 3 Satz 3, 120 Abs. 2 FamFG ergäbe sich, dass der unwiederbringliche Verlust einer Unterhaltszahlung kein nicht zu ersetzender Nachteil i.S.d. Gesetzes sei.
Zwar sei der Verlust einer nicht geschuldeten Geldsumme ein unersetzlicher Nachteil, wenn der Empfänger wegen Zahlungsunfähigkeit zur Rückerstattung außerstande sei (BGH, Beschl. v. 30.01.2007 – X ZR 147/06), allerdings weise der Unterhaltsanspruch Besonderheiten auf: Er bestehe gerade wegen der Bedürftigkeit des Gläubigers, der außerstande sei, sich selbst zu unterhalten. Da er typischerweise auf den sofortigen Verbrauch der geschuldeten Unterhaltszahlungen angewiesen sei, solle er trotz der eingelegten Beschwerde des Schuldners vollstrecken dürfen.
Das Risiko überzahlten Unterhalts liegt beim Unterhaltsschuldner
Die §§ 116 Abs. 3 Satz 3, 120 Abs. 2 Satz 1 FamFG wiesen dem Unterhaltsschuldner – anders als dem Schuldner sonstiger Forderungen – das Risiko zu, die ihn verpflichtende Entscheidung könne sich als unrichtig erweisen. Der dann eintretende endgültige Verlust der nicht geschuldeten Leistung sei der typische Inhalt dieses Risikos (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 30.09.2011 – 10 UF 196/11, II-10 UF 196/11 – FamRZ 2012, 730).
Schuldnerschutz greift nur ausnahmsweise
Daher komme ein Schuldnerschutz nur dann in Betracht, wenn der nicht zu ersetzende Nachteil der sofortigen Vollstreckung auf anderen Umständen als dem endgültigen Verlust des überzahlten Unterhaltes zu finden sei, etwa bei Sperrung des einzigen Geschäftskontos des Schuldners, der dann daran gehindert sei, weiterhin Einnahmen zu erwirtschaften, aus denen er Unterhalt leisten könne. Etwas anderes ergäbe sich für Unterhaltsrückstände, da die Unterhaltsgläubiger in dieser Zeit offenbar aus anderen Quellen gelebt hätten.
Selbst, wenn sie sich unzumutbar in der Lebenshaltung beschränkt haben sollten, könne ihnen die Nachzahlung des Unterhalts darüber nicht hinweghelfen. Etwas anderes sei der Fall, wenn sie etwa Kredite sofort zurückzahlen müssten, die sie für den Lebensunterhalt aufgenommen hätten. Daher solle nach weit verbreiteter Auffassung die sofortige Wirksamkeit wegen Unterhaltsrückständen nicht angeordnet werden (Fischer in: MünchKomm FamFG, § 116 Rn 11; Lorenz in: Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 116 FamFG Rn 10; Keidel-Weber, § 116 Rn 9).
C. Kontext der Entscheidung
Schuldnerschutz wird durch enge Auslegung ausgehebelt
Diese sehr enge Auslegung des nicht zu ersetzenden Nachteils führt de facto zu einer Aushebelung des Schuldnerschutzes. Sie wird neben dem 13. Senat des OLG Brandenburg nur noch vom OLG Hamm vertreten (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 30.09.2011 – 10 UF 196/11).
Schuldnerschutz wird von den meisten Gerichten beachtet
Demgegenüber folgen die meisten Oberlandesgerichte der weiten Auslegung des BGH im Beschluss vom 30.01.2007. Danach ist auch unwiederbringlich verlorener Unterhalt als nicht zu ersetzender Nachteil i.S.d. § 120 Abs. 2 FamFG anzusehen, was zur Einstellung der Zwangsvollstreckung führt (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 02.10.2013 – 18 UF 201/13 Rn 7; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28.01.2013 – 7 UF 230/12 Rn 20; OLG Rostock, Beschl. v. 07.03.2011 – 10 UF 219/10 Rn 15 f.; OLG Bremen, Beschl. v. 21.09.2010 – 4 UF 94/10 Rn 13; OLG Frankfurt, Beschl. v. 12.03.2010 – 2 UF 362/09 Rn 3).
D. Auswirkungen für die Praxis
Beschneidung des Schuldnerschutzes war vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt
Der Gesetzgeber wollte den Schutz des Unterhaltsgläubigers stärken, wobei er offenbar vergaß, gleiches auch für das Abänderungsverfahren gem. § 242 FamFG zu regeln, sodass nun eine Schieflage eingetreten ist. Nach § 120 FamFG sind die Gläubiger- und Schuldnerinteressen abzuwägen. Allerdings war das ungerechte Ergebnis für den Unterhaltsschuldner, das er „typischerweise“ hinzunehmen habe, vom Gesetzgeber nicht gewollt.
Beschneidung des Schuldnerschutzes widerspricht der Gesetzessystematik
Außerdem lässt es sich mit der Systematik des Gesetzes nicht rechtfertigen. Im Ergebnis kommt das auch in der Auslegung des nicht ersetzbaren Nachteils durch den BGH zum Ausdruck. Daher werden die Beschwerdegerichte sich weiterhin der Mühe unterziehen müssen, die Erfolgsaussichten der Beschwerde summarisch zu prüfen. Wenn glaubhaft gemacht wird, dass der überzahlte Unterhalt unwiederbringlich verloren ist, muss das dazu führen, die Vollstreckung wegen eines womöglich zu Unrecht zugesprochenen Unterhaltes ganz oder teilweise einzustellen.