Der Anwalt im Kindschaftsrecht
Für nahezu alle Familienrechtsverfahren besteht Anwaltszwang, mit Ausnahme im Kindschaftsrecht, also bei Streitigkeiten über das Sorgerecht und das Umgangsrecht. Welche Rolle hat dann noch der Anwalt im Kindschaftsrecht?
Der Anwalt und andere Beteiligte im Kindschaftsrecht
An einem streitigen Kindschaftsverfahren sind viele Profis beteiligt. Sie sollen von Gesetzes wegen dem Richter bei der Entscheidungsfindung helfen und an einer Lösung des Elternkonfliktes mitwirken. Demgegenüber sind Anwälte in dieser Runde nicht gern gesehen.
Wie sieht das der Gesetzgeber?
Offenbar war Der Gesetzgeber der Meinung, ein Rechtsanwalt sei nicht nötig, um das Wohl des Kindes zu schützen. Schließlich sei das Gericht von Amtswegen hierzu berufen. Allerdings schrieb er die Beteiligung des Jugendamtes gesetzlich vor (vgl. § 162 FamFG). Das Gericht entscheidet, ob es erst einmal einen Verfahrensbeistand (vgl. § 158 FamFG) oder schon gleich einen psychologischen Sachverständiger beauftragt (vgl. § 404 ZPO, § 163 FamFG).
Anwälte sind unbequem
Häufig werden die Anträge der Eltern auf Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts abgelehnt. Dahinter mag die Auffassung stehen, es gehe hier nicht primär um Rechtsfragen, sondern um das Wohl des Kindes. Das könne eher von Fachleuten, als von Rechtsanwälten ermittelt werden. Gerade Rechtsanwälte neigten berufsmäßig nun einmal zum Streiten, was hinderlich sei. Dass es seit vielen Jahren eine Spezialausbildung zum Fachanwalt für Familienrecht gibt, wird übersehen. Es scheint unbekannt zu sein, dass den Fachanwälten auch die Besonderheiten des Kindschaftsrechts vermittelt werden.
Anwälte waren auch in früheren Zeiten unbequem
Rechtsanwälte waren immer schon unbequem: Friedrich der Große erließ am 15.12.1726 eine Kabinettsorder für Gerichte und Juristen-Fakultäten: „Wir ordnen und befehlen hiermit allen Ernstes, daß die Advocati wollene schwarze Mäntel, welche bis unter das Knie gehen, unserer Verordnung gemäß zu tragen haben, damit man die Spitzbuben schon von weitem erkennt.“
Anwälte sind unerwünscht
Dass Rechtsanwälte besonders in Kindschaftssachen unerwünscht sind, schlägt sich in deren Gebühren für diese Verfahren nieder, zu denen eine kostendeckende Bearbeitung kaum möglich ist.
Anwalt, Verfahrensbeistand und Gerichtsgutachter und Jugendamt – Tätigkeit und Gebühren
Im Folgenden werden Zeitaufwand und Gebühren der Gerichtsbeteiligten kurz dargestellt. Die Anwaltsgebühren trägt jeder für sich. Die Kosten für Verfahrensbeistand und Gerichtsgutachter sind von den Eltern in der Regel zur Hälfte zu tragen.
Gebühren und Tätigkeit des Anwalts
Anders als bei einem Eigenheim, dessen Wert oft bei mehr als 400.000 € liegen kann, wird das Wohl der Kinder gerade einmal mit 4.000 € Gegenstandswert berücksichtigt. Folglich verdient der Anwalt beim Streit um das Eigenheim 9.374,23 € brutto in der I. Instanz, im Kindschaftsverfahren dagegen nur 850,85 €.
Aber gerade Kindschaftsverfahren sind besonders zeitaufwändig. Kaum ein Gerichtstermin dauert weniger, als 2-3 Stunden. Allein die Korrespondenz füllt oft mehrere Aktenordner. Der Anwalt muss zu den Ausführungen des anderen Elternteils, des Jugendamts, des Verfahrensbeistandes und des Sachverständigen Stellung nehmen. Das ist sehr zeitaufwändig.
Gebühren für weitere Verfahrensbeteiligte
Gebühren des Jugendamts
Die Tätigkeit des Jugendamts wird vom Staat bezahlt. Sie beschränkt sich dementsprechend auf einen Bericht und die Teilnahme eines Mitarbeiters an der Gerichtsverhandlung. Häufig wird aber kein Bericht erstellt und der Mitarbeiter bleibt dem Termin fern.
Gebühren und Tätigkeit des Verfahrensbeistands
Der Verfahrensbeistand, der nicht unbedingt Akademiker sein muss und häufig die Qualifikation eines Sozialarbeiters oder Sozialpädagogen mitbringt, verdient wenigstens 550,00 € bei günstiger Kostenstruktur. Er hat die Funktion eines „Anwalts des Kindes“ da die Eltern oft eigene Anwälte haben, die Interessen des Kindes aber von denen der Eltern abweichen können. Um eine schriftliche Empfehlung abgeben zu können, trifft er sich mit dem Elternteil, bei dem das Kind wohnt, manchmal auch mit dem anderen.
Gebühren und Tätigkeit des Psychologischen Sachverständigen
Der Sachverständige verdient je nach Gutachtenumfang zwischen 8.000,00 € und 12.000,00 €. Für diese Bezahlung liefert er ein ca. 90-120 Seiten starkes Gutachten ab, das oft gekürzt werden könnte und dessen Länge offenbar die erheblichen Kosten rechtfertigen soll. Er spricht mit den Eltern, stellt eine Anamnese (Krankengeschichte) und beobachtet die Interaktion der Kinder mit den Eltern. Im Idealfall beantwortet er die Beweisfragen des Gerichts, leider trifft er häufig schon die Vorentscheidung, zu wem die Kinder kommen. Damit greift er dem Richter vor, was gesetzeswidrig ist.
Ablauf des Kindschaftsverfahrens
Das Gericht muss nach § 155 FamFG innerhalb eines Monats einen Gerichtstermin anberaumen.
Die Mitwirkung des Jugendamts
Leider wurden die Jugendämter vom Gesetzgeber mit Aufgaben überhäuft, ohne dass sie personell besser ausgestattet worden wären. Daher schaffen es die Mitarbeiter des Jugendamts häufig nicht, innerhalb eines Monats mit den Eltern zu sprechen und einen Bericht mit Empfehlungen vorzulegen. Nicht immer sind die Berichte hilfreich. Manchmal enthalten sie Empfehlungen, die dem Wohl der Kinder abträglich sind. In seltenen Fällen drängt sich der Verdacht der Parteilichkeit auf.
Gutachter und Verfahrensbeistände als heimliche Richter
Auch, wenn die meisten Familienrichter sich einen eigenen Eindruck verschaffen und sich eine eigene Meinung bilden, welchem Elternteil das Sorgerecht zu übertragen oder in welchem Maße Umgang zu gewähren ist, orientieren sie sich an den Voten des Jugendamtes, des Verfahrensbeistandes und des Sachverständigen und weichen nur selten von deren Empfehlungen ab.
Der Anwalt im Kindschaftsrecht hat eine Kontrollfunktion
Aufgabe und Funktion des Rechtsanwalts bestehen darin, als Organ der Rechtspflege und damit als „Kollege“ des Richters die Empfehlungen der „Spezialisten“ kritisch zu hinterfragen. Weiter sollte der Anwalt den Familienrichter darin bestärken, sein aus Art. & Grundgesetz folgendes Wächteramt für das Wohl der Kinder eigenverantwortlich ausführen. Denn der Richter darf diese Aufgabe nicht an andere delegieren, etwa über einen Beweisbeschluss an den Gutachter.
Weite sollte der Rechtsanwalt als Interessenvertreter eines Elternteils dessen Sicht auf das Wohl des Kindes deutlich machen.
Kontrolle des Verfahrensbeistandes
Der Verfahrensbeistand ist vom Gesetzgeber zum „Anwalt des Kindes“ bestimmt. Er ist wie ein Anwalt ein Parteivertreter. Deshalb darf er auch mit einem Elternteil gemeinsame Sache machen, ohne dass man ihn wegen Befangenheit ablehnen kann. Natürlich gibt es auch Verfahrensbeistände, die das Wohl des Kindes im Blick haben und nicht Partei für einen Elternteil ergreifen. Aber oft muss der Rechtsanwalt der Einschätzung des Verfahrensbeistandes entgegentreten.
Kontrolle des Sachverständigen
Sachverständigengutachten sind in der Regel von den Eltern hälftig zu bezahlen. Daher sollte der Rechtsanwalt eine vorschnellen Beauftragung des Sachverständigen verhindern und die Abrechnung des Sachverständigen im Hinblick auf die Qualität des Gutachtens kritisch hinterfragen. Bedeutsam ist, dass Sachverständigengutachten für die Gerichte den höchsten Stellenwert haben Also sollte sich der Rechtsanwalt mit den Untersuchungsmethoden und den daraus gezogenen Schlüssen auseinandersetzen, Zweifeln an der Unabhängigkeit des Sachverständigen nachgehen und gegebenenfalls eine Ergänzung des Gutachtens beantragen. Außerdem kann es ratsam sein, die Befragung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung zu beantragen. Bei Zweifeln an der Unabhängigkeit des Sachverständigen ist er wegen Befangenheit ablehnen.
Der Anwalt im Kindschaftsrecht hat eine Vermittlungsfunktion
Der Anwalt sollte die gesamte Familie im Blick behalten und sich nach Möglichkeit für eine einvernehmliche Regelung einsetzen. Er sollte vor Gericht immer wieder deutlich machen, dass es die Eltern sind, die trotz ihrer Trennung und ihrer damit verbundenen Konflikte die beste Lösung für ihr Kind und ihr Leben finden können.
Der Anwalt als Konfliktlöser statt Anheizer
Der Rechtsanwalt sollte auch bei seinem eigenen Mandanten darauf hinwirken, dass der Sachvortrag nicht ausufert und womöglich den anderen Elternteil in seiner Würde verletzt.
Wegnahme des Kindes verhindern
Der Anwalt im Kindschaftsrecht kann damit auch den seltenen Fällen vorbeugen, in denen die Gerichte gem. § 1666 BGB einem oder beiden Eltern das Sorgerecht entziehen. Damit ist die Beteiligung des Rechtsanwalts im Kindschaftsverfahren für die betroffenen Kinder und die betroffenen Eltern von unschätzbarem Wert.
Der „bessere“ Elternteil
Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gibt es keinen „besseren“ Elternteil. Beide Eltern sind gerade in ihrer Verschiedenartigkeit für die Kinder am besten, unabhängig von den einzelnen Qualitäten und Unvollkommenheiten. Gerade in Kindschaftssachen denken die beteiligten Eltern häufig, dass sie eher das Kind bekommen, wenn sie den anderen madig machen, was oft ihrer momentanen Sicht auf den früher einmal geliebten Partner entspricht. Sie glauben auch, der Richter, Verfahrensbeistand oder Sachverständige würde ihnen in ihrer Sicht der Dinge Recht geben. Sollte das einmal passieren, wäre die Unparteilichkeit verletzt.
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