Befristung von Krankheitsunterhalt
Befristung von Krankheitsunterhalt im Falle der Klage des Sozialhilfeträgers aus übergegangenem Recht
Anmerkung Maes zu BGH 12. Zivilsenat, Urteil vom 28.04.2010 – XII ZR 141/08 in Juris Praxisreport Familien- und Erbrecht 16/2010 vom 3.8.2010
Leitsatz
Zur Befristung von Krankheitsunterhalt nach der Ehe im Fall der Klage des Sozialhilfeträgers auf rückständigen und laufenden Unterhalt aus übergegangenem Recht.
A. Problemstellung
Unter welchen Voraussetzungen ist die Befristung von Krankheitsunterhalt zulässig? Inwieweit sind bei der Billigkeitsprüfung die Fälle zu beachten, in denen Krankheitsunterhalt vom Sozialhilfeträger aus übergegangenem Recht geltend gemacht wird?
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Sozialhilfeträger klagt aus übergegangenen Unterhaltsansprüchen der Ehefrau
Der Sozialhilfeträger machte gegen den Ehemann aus übergegangenem Recht nach § 94 SGB XII Krankheitsunterhalt der geschiedenen Ehefrau geltend, die seit Jahrzehnten an Depressionen leidet und schon während des Scheidungsverfahrens Sozialhilfe erhielt. Der gemeinsame Sohn war bei Rechtskraft der Scheidung neun Jahre alt. Der Ehemann stellte seine Unterhaltszahlungen neun Jahre später ein. Er wurde vom Amtsgericht zur Zahlung rückständigen und laufenden Unterhalts verurteilt. Das Berufungsgericht verfügte eine Befristung von Krankheitsunterhalt bis Dezember 2008.
Revision zum BGH nur wenig erfolgreich
Die hiergegen gerichteten Revisionen der Eheleute hatten beim BGH wenig Erfolg. Die Ehefrau sei bei Zustellung des Scheidungsantrages erst 38 Jahre alt gewesen. Außerdem habe die Ehe bis zur Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages nur 9 ½ Jahre gedauert. Vor diesem Hintergrund sei es für die Ehefrau zumutbar, sich mit dem Wegfall des Unterhalts abzufinden. Dadurch sei auch die öffentlichen Hand nicht unangemessen benachteiligt. Jedoch komme einer weiter gehende Begrenzung nicht in Betracht, weil der auf den Sozialhilfeträger übergegangene Unterhalt nicht über dem angemessenen Unterhaltsbedarf gelegen habe, der zumindest mit dem Existenzminimum zu bemessen sei. Vgl. BFH, Urt. v. 14.10.2009 – XII ZR 146/08 Rn. 14 – FamRZ 2009, 1990; BGH, Urt. v. 17.02.2010 – XII ZR 140/08 Rn. 32 – FamRZ 2010, 629.
Ehemann kann dem Sozialamt die Befristung entgegenhalten
Der Ehemann könne dagegen dem Sozialhilfeträger als neuem Gläubiger des Unterhaltsanspruchs den Befristung gemäß §§ 412, 404 BGB entgegenhalten. Das gelte auch dann, wenn er auf künftigen Unterhalt in Anspruch genommen werde und die Befristung erst in der Zukunft greife. Vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 21.12.2004 – 2 UF 103/04 – FamRZ 2005, 1756. Andernfalls würde sich die Rechtsstellung des Unterhaltspflichtigen durch den gesetzlichen Forderungsübergang ohne sachlichen Grund verschlechtern. Ein Rechtsnachteil erwachse dem Unterhaltsberechtigten dadurch nicht, zumal die Befristung für ihn keine Rechtskraftwirkung entfalte, was bedeutsam werde, wenn der Sozialhilfebezug ende.
Begründung des BGH im Einzelnen
Ab Januar 2008 könne auch der nacheheliche Krankheitsunterhalt gemäß § 1572 BGB befristet werden. Wenn keine ehebedingten Nachteile im Sinne der Vorschrift vorlägen, sei das gemäß § 1578b Abs. 1 BGB immer dann möglich. Denn die Krankheit eines Unterhaltsberechtigten sei regelmäßig kein ehebedingter Nachteil und beruhe allenfalls in Ausnahmefällen auf der Rollenverteilung oder auf sonstigen mit der Ehe zusammenhängenden Tatsachen.
Im vorliegenden Fall habe die Krankheit der Ehefrau seit mehreren Jahrzehnten bestanden und sei der Grund ihrer Unterhaltsbedürftigkeit. Allerdings führe allein das Fehlen ehebedingter Nachteile noch nicht zur zwangsläufigen Befristung des Krankheitsunterhalts. Vgl. BGH, Urt. v. 27.05.2009 – XII ZR 111/08 und BGH, Urt. v. 14.04.2010 – XII ZR 89/08. Denn bei der Billigkeitsabwägung durch das Familiengericht sei im Einzelfall gebotene Maß der nachehelichen Solidarität festzulegen. Hiebei sei der Katalog des § 1578b Abs. 1 BGB zu berücksichtigen. Das Berufungsgericht sei richtigerweise vom Fehlen ehebedingter Nachteile ausgegangen. Allerdings könne die Versorgung des Unterhaltsberechtigten durch einen Sozialhilfeträger kein Grund für eine Befristung sein, sondern sei lediglich bei der Billigkeitsabwägung zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urt. v. 26.11.2008 – XII ZR 131/07 Rn. 39 – FamRZ 2009, 406).
Nachrangigkeit der Sozialhilfe
Auf einen Vergleich mit der Versorgungslage des Unterhaltsberechtigten unter Einbeziehung von Sozialleistungen dürfe nicht abgestellt werden. Denn das liefe darauf hinaus, einen Unterhaltsanspruch eher zu befristen, wenn er das Sozialhilfeniveau nicht erreiche. Das widerspreche der gesetzlich vorgeschriebenen Nachrangigkeit der Sozialhilfe gemäß §§ 2, 94 SGB XII. Im Rahmen der Billigkeitsabwägung sei nicht nur auf die Ehedauer und auf das Alter der Ehefrau bei Zustellung des Scheidungsantrages abzustellen, sondern insbesondere auf die Gestaltung der Haushaltsführung, auf die Erwerbstätigkeit sowie auf die Erziehung der gemeinsamen Kinder.
Da die Ehefrau schon in den ersten Ehejahren und seitdem fortwährend krank gewesen sei, habe dem Ehemann das Sorgerecht für den seinerzeit achtjährigen Sohnes übertragen werden müssen. Die Betreuung des Kindes zusätzlich zu seiner Erwerbstätigkeit habe ihn stark belastet. Darüber hinaus habe er allein für den Barunterhalt des Kindes aufkommen müssen. Vor diesem Hintergrund sei die vom Berufungsgericht ausgesprochene Befristung des Unterhalts auf einen Zeitraum von rund 14 Jahren nach der Scheidung und ein Jahr nach Inkrafttreten der gesetzlichen Befristungsmöglichkeit nicht zu beanstanden.
C. Kontext der Entscheidung
Der BGH hatte sich in jüngster Zeit mehrfach mit der Befristung des Krankheitsunterhalts zu befassen, wobei er zunehmend die nacheheliche Solidarität ins Feld führte, wenn ehebedingte Nachteile nicht vorlagen (vgl. Bißmaier, jurisPR-FamR 8/2010 Anm. 4, m.w.N.). Im Urteil vom 17.02.2010 (XII ZR 140/08) war einer krebskranken Ehefrau, die während der Ehe ein schwerstbehindertes Kind betreut hatte, trotz Fehlens ehebedingter Nachteile nach den Grundsätzen der nachehelichen Solidarität unbefristeter Krankheitsunterhalt zugesprochen worden.
D. Auswirkungen für die Praxis
Gestaltung der Ehe maßgeblich
In seiner inzwischen umfangreichen Rechtsprechung zum Krankheitsunterhalt macht der BGH deutlich, dass umfangreicher Vortrag zur Billigkeitsabwägung erforderlich ist. Dabei sei neben den Tatbestandsmerkmalen des § 1578b BGB genau zu schildern, wie die Ehe ablief und wie sich die gesundheitliche und wirtschaftliche Situation der Eheleute während der Ehe gestaltet habe.
nNcheheliche Solidarität ist zu beachten
Selbst wenn keine ehebedingten Nachteile vorliegen, kann die vom Gesetzgeber in den Motiven erwähnte nacheheliche Solidarität gegen eine Befristung sprechen. Der unbestimmte und kaum fassbare Rechtsbegriff wird vom BGH gewissermaßen als Reißleine für die Fälle benutzt, in denen eine unbefristete Unterhaltszahlung eigentlich ausgeschlossen, aber dem Einzelfall nicht angemessen wäre. Für die Beratungspraxis ergibt sich dadurch eine weitere Unwägbarkeit. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Hinweis des BGH, der Unterhaltsberechtigte müsse die gegenüber seinem Sozialhilfeträger ausgesprochene Befristung des Unterhalts nicht gegen sich wirken lassen, sobald die Voraussetzungen des Forderungsübergangs entfallen seien. Aber der Unterhaltspflichtige sei darüber zu beraten, dass ihn der Sozialhilfeträger in einem späteren, vom Unterhaltsberechtigten geführten Verfahren trotz bereits ausgesprochener Befristung gegenüber erneut in Anspruch nehmen könne.